Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

580 Sechsundzwanzigstes Kapitel 12. April 1880 
bei ihm gewesen. Im zweiten Vorzimmer begegnete ich dem Ge— 
heimen Legationsrat von Bülow, der hier gewartet hatte und ein 
paar freundliche Worte mit mir wechselte. 
Ich machte hierauf nach dem. was der Fürst über seine Stellung 
zur Kurie gesagt hatte, einen Artikel: „Der versöhnliche Papst,“ 
der in Nr. 13 der Grenzboten erschien. 
Gegen das Ende der ersten Woche des April fingen die Zeitungen 
an, von einer Kanzlerkrisis zu sprechen, 1 und als das einige Tage 
gedauert hatte, schrieb ich (Freitag, den 9. April) an den Chef, 
wenn ich ihm hierbei nützen könne, möge er mich in der Sache in- 
formieren. Ich bekam darauf am 11. einen Brief von Sachsse, worin 
ich gebeten wurde, den Reichskanzler Montag um vier Uhr mit 
meinem Besuch zu beehren. Ich fand mich zur besagten Stunde 
ein und mußte eine Viertelstunde im Vorsaale warten, weil der 
Fürst im Garten verschwunden war. Endlich sah ich ihn aus dem 
zum Auswärtigen Amte gehörigen Garten, wo in die Scheidemauer 
eine breite Lücke gebrochen ist, zwischen den Baumstämmen und den 
vielen weißen Blümchen auf den Grasplätzen des Parkes daher 
kommen. Er trug Zivilkleider und in der Hand einen starken Stock. 
Seine beiden Doggen begleiteten ihn. Theiß ging ihm entgegen 
und meldete mich. Nach einigen Minuten wurde ich in das Arbeits- 
zimmer gerufen. Er fragte: „Wie geht es, Herr Doktor?“ 
Ich antwortete: „Danke, Durchlaucht, gut.“ 
„Mir ists in den letzten Tagen wieder schlecht gegangen,“ ver- 
setzte er. „Ich habe mich geärgert über unfre Beamten — über die Fle- 
gelei dieses Stephan —, und andre machens ebenso. Die Zeitungen 
stellen die Ursache an der jetzigen Krisis unrichtig dar, und ich möchte 
Sie bitten, das zu rektifizieren. Es handelt sich nicht allein um das 
Verhalten der Vertreter nichtpreußischer Regierungen bei der Frage 
wegen der Besteuerung von Quittungen bei Postanweisungen und 
Vorschüssen,? nicht einmal vorzugsweise, sondern ebenso sehr um das 
ungehörige Benehmen unfrer Beamten. Sie wissen, ich habe wieder- 
holt öffentlich über den preußischeu Partikularismus geklagt, gegen- 
  
1 Fürst Bismarck reichte am 6. April 1880 sein Abschiedsgesuch ein. 
7* Die die Mehrheit des Bundesrats gegen die Stimmen Preußens und 
zweier der größten Bundesstaaten abgelehnt hatte.
	        
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