12. April 1880 Sechsundzwanzigstes Kapitel 581
über den Einrichtungen und Bedürfnissen des Reichs. Dann ist
bei meiner häufigen langen Abwesenheit ein willkürliches Treiben
entstanden, eine Art Republik im polnischen Sinne, wo jeder
Chef der Verwaltung seine eigne Meinung nicht nur haben will,
sondern auch geltend machten. Vortragende Räte, deren Ansicht der
Vorstand ihres Departements nicht approbiert hat, oder auch Mi-
nister, die von meinen Anschauungen abweichen, versuchen ihre Ge-
danken praktisch geltend zu machen, und zwar auf eine Manier, als
ob sich das von selbst verstünde. Das versteht sich aber nicht von
selbst, der oberste Leiter der Regierung des Kaisers und Königs
kann das nicht gestatten — das liegt auf der Hand.“
Er hielt inne und schien zu erwarten, daß ich nachschreiben
werde. Er hatte mir, bevor ich eingetreten war, eine Unterlage
von Löschpapier, mehrere große Briefbogen und zwei frisch gespitzte
Bleistifte auf dem Schreibtische vor den Platz gelegt, den ich ge-
wöhnlich einnahm. Ich hatte anfangs mit einigen abgerissenen
Hauptsätzen begonnen, jetzt schrieb ich alles, was er sagte, wörtlich
nieder, indem er langsamer und in ziemlich regelmäßigen Perioden
sprach, und so wurde das Folgende nach einigen einleitenden Worten,
die sich auf das schon Mitgeteilte bezogen, in einem Artikel: „Die
Ursachen der Kanzlerkrisis“ betitelt in den Grenzboten vom
15. April 1880 abgedruckt. Dem Blatte wurde auf diese Weise
die Ehre zu teil, den deutschen Reichskanzler im stillen unter seine
Mitarbeiter rechnen zu dürfen. Er sagte oder diktierte:
„So viel wir wissen (ich fügte später hinzu: #und wir glauben
gut unterrichtet zu seine) hat die Kanzlerkrisis durchaus nicht die
Tendenz, eine Verfassungsänderung herbeizuführen. Nichts liegt
dem Fürsten ferner. Er hält die Verfassung des Bundes für völlig
ausreichend, wenn die Rechte, die sie den Einzelstaaten verleiht,
wie bisher mit Mäßigkeit ausgeübt werden. Wenn die Maschinerie
zuweilen unregelmäßig arbeitete oder stocken wollte, so war der
Grund hiervon teils in der Geschäftsordnung des Bundesrates zu
suchen, teils in dem unzureichenden Werte, den manche Regierungen
auf die Ausübung ihres Stimmrechtes legten. Nach der bisherigen
Praxis legte man zu viel Gewicht auf die Ausschüsse, zu wenig auf
die Plenarverhandlungen. Jene berieten sehr lange, die Sitzungen
des Plenums dagegen wurden beinahe lediglich zu Abstimmungen