Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

12. April 1880 Sechsundzwanzigstes Kapitel 583 
sei, also auch eines solchen, dessen Folgen oder prinzipielle Grund— 
lagen er nicht auf seine Verantwortlichkeit nehmen kann, so würde 
von einer wirklichen verantwortlichen Stellung desselben kaum mehr 
die Rede sein können, seine Stelle vielmehr durch jeden Büreau— 
beamten, der den ihm zugegangnen Weisungen nachzukommen hat, 
ebensogut versehen werden können. 
„Den Reichskanzler und mit ihm die drei größten Bundes- 
staaten in die Lage zu bringen, von dem Minoritätsprivilegium 
des Artikels 9 Gebrauch zu machen, kann zur Stärkung der kon 
stitutionellen Einrichtungen des Reiches nicht beitragen, sie vielmehr 
nur schädigen. Daß der Kanzler sich auf eigne Hand weigert, einen 
rite gefaßten Bundesratsbeschluß auszuführen, erscheint mit den 
Rücksichten, die er in seiner amtlichen Stellung der Majorität der 
verbündeten Regierungen schuldet, schwer vereinbar. Ein amtliches 
Schicklichkeitsgefühl mag in solchen Fällen dem Kanzler gebieten, 
einer Zumutung, deren Folgen er nicht verantworten will, durch 
ein Abschiedsgesuch auszuweichen und dadurch seine Bereitwilligkeit 
zu bekunden, zur Ernennung eines Nachfolgers mitzuwirken, der 
durch keine entgegenstehende Überzeugung an der Ausführung des 
betreffenden Bundesratsbeschlusses gehindert wird. Die angemessenste 
Lösung wird aber immer die sein, daß die Dinge nicht auf die 
Spitze getrieben werden.“ 
Hier schien ihm plötzlich etwas Dringendes einzufallen. Er 
klingelte und ließ durch den aus dem Vorzimmer eintretenden Kanzlei- 
diener den Geheimrat Tiedemann holen, den er bat, sich im Palais 
des Kaisers zu erkundigen, wie es mit der Denkschrift stehe, die 
bald erledigt werden müsse und nicht liegen bleiben dürfe. „Er soll 
aber ohne Verzug hingehen und fragen.“ Dann, als Tiedemann 
fort war, sagte er: „Sie betrifft die Angelegenheit, von der wir 
reden. — Aber wo war ich stehen geblieben?“ Ich las ihm die 
letzten Sätze vor, und er fuhr fort: „Nun ja. Die Verhütung solcher 
Krisen aber, wie die jetzige ist, wird wesentlich erleichtert werden, 
wenn das Gewicht der Ausschußberatungen gemindert und das- 
jenige der Plenarsitzungen gesteigert wird, und wenn in den letztern 
die neuerdings eingerissene Gewohnheit aufhört, daß mehr als die 
Hälfte der verbündeten Regierungen bei den Plenarverhandlungen 
ohne eigne Vertreter ist. Die Praxis der Substitutionen beruht
	        
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