584 Sechsundzwanzigstes Kapitel 12. April 1880
lediglich auf der Geschäftsordnung, nicht auf der Verfassung. Die
Sache würde sich erheblich anders gestalten, wenn die entscheidenden
Plenarsitzungen auf eine kürzere Periode, während der Session des
Reichstags konzentriert und nicht über den größten Teil des Jahres
je nach den täglichen Bedürfnissen verteilt würden, wie das seither
der Fall war.“
Er nahm darauf, ohne ein Zeichen zu geben, daß ich entlassen
sei, ein Heft zur Hand, über dem „Denkschrift“ stand, korrigierte
einiges darin und ließ den Sekretär Sachsse rufen, dem er den
Befehl erteilte, „das von derselben Hand abschreiben zu lassen.“
Dann wandte er sich wieder zu mir, ließ sich die letzten Sätze
des Diktats vorlesen und sagte dann: „So wirds genug sein. Wollen
Sie noch was wissen?“
Ich: „Wie denken Durchlaucht über den Ausfall der Wahlen
in England?“
Er: „Die Sache ist nicht bedeutend für uns. Die Russen
aber erwarten viel davon. Die Liberalen werden im großen und
ganzen dieselben Wege gehen müssen wie Beaconsfield.! Das ist
immer so, auch bei uns. Wenn die Nationalliberalen einmal re-
gieren sollten, so würden sie finden, daß das nicht so geht, wie sie
denken.“
Ich: „Es ist mit Kronprinzen ebenso. Die sind oder thun
fast immer anders, als der gerade regierende Herr, meist liberal;
aber wenn sie dann selber die Verantwortlichkeit übernehmen sollen,
müssen sies im wesentlichen machen wie die Vorgänger. Ich sagte,
sie thun so. Denn oft ist die Verschiedenheit wohl nur Schein.
Die modernen Fürsten haben, wie mir vorkommt, keinen festen Halt
in sich selbst, keinen wahren Glauben an sich. Sie fühlen sich ab-
hängig von der öffentlichen Meinung oder von der Parteidoktrin,
die sich dafür ausgiebt. Unfre Dynastien haben das Bedürfnis,
alle Parteien für sich zu interessieren, und so verbreiten Kronprinzen
häufig um sich den Ruf, andrer politischer oder religiöser Meinung
zu sein als der Throninhaber, liberal, wenn dieser konservativ,
oder sehr liberal, wenn er es nur mäßig ist. Kommen sie dann
1 Am 20. April 1880 kam das liberale Ministerium Gladstone-Bright-
Forster ans Ruder.