Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

46 Siebzehntes Kapitel 15. Januar 
können. Möchte doch die Regierung der nationalen Verteidigung 
die Umstände in ernste Erwägung ziehen und über dem Prinzip 
des Widerstands bis aufs äußerste die schwere Verantwortlichkeit, 
die sie damit übernimmt, nicht außer acht lassen. Die Entfernung 
zwischen den in den Provinzen ausgehobnen Armeen, deren Heran— 
nahen mit so großer Ungeduld erwartet wird, und dem streng ab— 
gesperrten und eingeschlossenen Paris nimmt von Tage zu Tage 
zu, statt sich zu verkürzen. Lügenhafte Berichte sind nicht imstande, 
Paris zu retten. Die Berechnung, aus dem einfachen Grunde bis 
zum letzten Augenblicke warten zu können, weil weder die Provinz 
noch der Feind eine Stadt von dritthalb Millionen Einwohnern 
den Qualen des Hungers überlassen würden, könnte sich als falsch 
erweisen vor unerbittlichen Unmöglichkeiten, und der Moment der 
Kapitulation von Paris im allerletzten Augenblicke könnte, was 
Gott verhüte, zum Beginn eines wirklich großen Unglücks werden.“ 
Sonntag, 15. Januar. Ziemlich helles und kaltes Wetter. 
Man hört weniger Schüsse als in den letzten Tagen. Der Chef 
hat diese Nacht schlecht geschlafen und Wollmann schon um vier 
Uhr wecken lassen, damit er wegen Favre nach London telegraphiere. 
Früh Depeschen gelesen. Andrassy, der Premierminister für Ungarn, 
hat gegen unsern Gesandten in Wien die Erklärung abgegeben, daß 
er nicht nur die in der Beustschen Depesche vom 26. Dezember v. J. 
über das neue Deutschland ausgesprochne Anschauung der Dinge 
teile, sondern diese Politik stets gewollt und empfohlen habe. Er 
habe „immer gesagt, man solle Deutschland die Hand bieten, Ruß- 
land die Faust zeigen.“ Die Reservation am Anfange des gedachten 
Aktenstückes hätte wegbleiben können, da die Neugestaltung Deutsch- 
lands den Prager Frieden nicht verletze. — Die Briefe, in denen 
die deutschen Fürsten den Vorschlägen des Königs von Bayern wegen 
Wiederherstellung der Kaiserwürde zustimmen, drücken ungefähr die- 
selben Gedanken aus. Nur Reuß älterer Linie hat sich bewogen 
gefunden, seine Einwilligung etwas anders zu motivieren. Der 
Kaisertitel wird von dieser Macht als „ein Schmuck und eine Be- 
zeichnung der Bundesfeldherrnwürde und der Ausübung der Prä- 
sidialrechte“ aufgefaßt, und es heißt hiernach wörtlich: „Ich thue 
dies (scil. stimme zu) in der gewissen Zuversicht, daß durch die 
Übertragung dieser Würde an Se. Majestät den König von Preußen
	        
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