Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

590 Sechsundzwanzigstes Kapitel 11. Mai 1880 
Nachgiebigkeit aussieht, so ist das Augentäuschung. Wir paktieren 
nicht mit Rom, gehn nicht nach Kanossa, wir versuchen, selbständig, 
für uns allein mit den preußischen Katholiken zum Frieden zu 
kommen. Wenn Bischöfe triumphierend wieder einziehen, so ist das 
besser als mit Trauern und Klagen. Sie erkennen dann an, daß 
Ihnen etwas gewährt ist — viel meinethalben. Aber wenn sie sich 
mit uns dann nicht stellen, so haben wir sie ja mit der diskretio- 
nären Gewalt in der Hand und können sie wieder entfernen oder 
sonst unschädlich machen. Das verstehen aber die am Dönhofsplatze 
nicht, auch die Freikonservativen nicht. Darum gehe ich auch nicht 
hin; denn ich mag nicht in den Wind sprechen. Es könnte kommen, 
daß ich dann ohne Bewilligung des Königs meinen Abschied nehmen 
müßte. Und dann — ein bayrischer Maler — Lenbach — machte 
neulich eine gute Bemerkung. Er sagte: „Eine geistreiche Rede halten 
vor denen heißt ein Feuerwerk vor Blinden abbrennen. Ihre Politik 
ist Fraktionspolitik. — Da waren Bennigsen und Migquel bei mir 
vor einigen Tagen und wollten mich von der Vorlage abreden, ließen 
sich aber dann von meinen Gründen überzeugen. Da fand den 
Abend darauf eine Fraktionsberatung statt, und jetzt kamen sie wieder 
und waren zu ihrer alten Meinung zurückgekehrt. Hiervon aber 
dürfen Sie in der Presse nichts sagen, das ist — ich meine unfre 
Stellung zu der Vorlage und zu den Parteien — nur zu Ihrer 
persönlichen Information. Sie sollen nicht denken, daß wir sie be- 
einflussen wollen, und wenn Sie etwas darüber sagen, ists gleich ein 
Communiqué. Sie wissen ja wohl, daß Windthorst Sie neulich als 
Oberoffiziösen bezeichnet hat. Nun, wir werden ja sehen, was sie 
zuletzt aus der Vorlage machen werden, und vielleicht genügt uns 
das, vielleicht auch nicht." 
Er hielt wieder einen Augenblick inne. Dann fuhr er fort: 
„Und nun das zweite Thema, das Sie behandeln können. Ich 
möchte eine Charakteristik des Zentrums haben, aus der hervor- 
ginge, daß wir bei einer Auflösung oder Umgestaltung dieser Partei 
nicht viel gewinnen würden. Die Konservativen würden dadurch 
nicht erheblich gestärkt werden — durch Nachgiebigkeit der Regierung 
in Sachen der kirchenpolitischen Gesetze." 
Er sann einen Augenblick nach und sagte dann, von diesem 
Gedankengange abbiegend: „Sie wissen, wie Rußland uns nie zu.
	        
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