18. Januar Siebzehntes Kapitel 61
betragen etwa anderthalbmal so viel als seine gewöhnliche Jahres-
einnahme.
Zwischen zwölf und halb zwei Uhr im Großen Saal (der
galerie des glaces) des Schlosses Ordensfest und Proklamierung
des Deutschen Reichs und Kaisers unter militärischem Gepränge.
Soll ein sehr stattliches und feierliches Schauspiel gewesen sein.1
Ich machte inzwischen mit Wollmann einen weiten Spaziergang,
und als wir bei der Rückkehr vom Gitter der Avenue de Saint
Cloud die Allee hinauf und durch die Rue de Saint Pierre gingen,
hörten wir vom Place d’'Armes her das Rollen lauter Hurras.
Sie galten dem Könige, der von der Zeremonie nach Hause fuhr —
ich wollte sagen: dem Keiser.
Bei Tische fehlte der Chef, der beim Kaiser zum Diner war.
Abends wurde ich zweimal zu ihm gerufen, um Aufträge zu er-
halten. Er sprach dabei mit ungewöhnlich schwacher Stimme und
sah ermüdet und abgespannt aus.
Der Minister hat von einer Anzahl in Paris zurückgebliebner
Diplomaten, für die Kern, der Gesandte der Schweiz, das Wort
führt, ein Schreiben erhalten, worin an ihn das Verlangen gestellt
wird, dahin zu wirken, daß Maßregeln getroffen werden, die den
Schutzbefohlnen der Unterzeichner ermöglichen, sich vor dem Bom-
bardement durch Entfernung aus der Stadt zu retten. Dabei wird
unfre Berechtigung zur Beschießung von Paris bezweifelt und an-
gedeutet, daß wir absichtlich auf Gebäude schössen, die zu schonen
seien. Darauf ist zu erwidern, daß der neutrale Teil der in Paris
Wohnenden von uns durch ihre Gesandtschaften wiederholt (schon
gegen das Ende des September, dann mehrmals im Oktober) auf
die Nachteile aufmerksam gemacht worden ist, die der Stadt aus
1 Lebendig als Augenzeugen schildern die Feier: Abeken 483 ff., Rogge,
der die geistliche Ansprache hielt, Bei der Garde 119 ff., Verdy 274 (nur war
Roon nicht dabei, wie er angiebt, s. Denkwürdigkeiten III7, 286), der Kron-
prinz in seinem Tagebuch vom 18. Januar, sehr nüchtern Wilmowski 83;
über das Arrangement Schneider III, 152 ff. Vgl. G. u. E. II, 121/22 und
den merkwürdigen Brief des Kaisers an seine Gemahlin vom 18. Januar, beson-
ders über seine „morose Emotion in diesen letzten Tagen,“ bei Oncken 218 ff. —
Das ganze Material über die Feier jetzt bei Töche-Mittler, Die Kaiser-
proklamation in Versailles am 18. Januar 1871.