Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

78 Achtzehntes Kapitel 25. Januar 
Chef, als die Historie zu Ende war. „Der war auch einmal bei 
jemand auf dem Lande, der setzte ihm guten Rheinwein vor. Sie 
haben da ja einen vortrefflichen Wein,« sagte der König. — »Ach 
ja,« antwortete der. »Aber im Keller ist ein noch viel besserer, 
Majestät, den sollten Sie erst kennen lernen.«“ 
Der Minister gedachte darauf seiner ersten Reise nach Peters- 
burg. Er sei im Wagen gefahren, weil es zuerst keinen Schnee 
gegeben habe. Später aber sei ein starkes Gestöber eingetreten und 
der Weg ganz verweht worden, sodaß sein Fuhrwerk nur ganz 
langsam weiter gekommen sei. Bei fünfzehn Grad Kälte und ohne 
Schlaf in dem engen Wagen habe er bis zur ersten Eisenbahn- 
station fünf volle Tage und sechs Nächte gebraucht. Im Waggon 
aber sei er dann gleich so fest eingeschlafen, daß er, als sie nach 
zehnstündiger Fahrt in Petersburg eingetroffen seien, der Meinung 
gewesen sei, erst vor fünf Minuten in den Zug gestiegen zu sein.1 
„Es hatte aber auch sein Gutes, damals, als die Eisenbahn 
noch nicht fertig war,“ fuhr er fort. „Man hatte da nicht so viel 
zu thun. Es war nur zweimal die Woche Posttag, und da wurde 
aus allen Leibeskräften gearbeitet. Wenn die Post aber fort war, 
da gings zu Pferde hinaus, und es war gute Zeit bis zur nächsten 
Post.“ 
Jemand äußerte, daß die Arbeit in den Gesandtschaften sowie 
im Auswärtigen Amte viel mehr durch den Telegraphen als durch 
die Eisenbahn vermehrt worden sei. 
Der Chef kam davon auf die Berichte der Gesandtschaften und 
der diplomatischen Agenten überhaupt zu reden und bemerkte, daß 
viele davon in gefälliger Form nichts enthielten. „Es ist Feuilleton- 
arbeit, geschrieben, damit was geschrieben wird. So waren da z. B. 
die Berichte Bambergs, unsers Konsuls in Paris. Man liest sie 
durch und denkt immer: Nun solls kommen. Es kommt aber nicht. 
Es klingt ganz hübsch, und man liest weiter und weiter. Am Ende 
aber findet man, daß wirklich nichts darin steht — alles taub 
und leer.“ 
  
1 Vgl. Bismarcks Briefe aus Petersburg vom 28. März, 31. März und 
8. Mai 1859, Bismarckbriefe Nr. 209/211. Die erste russische Eisenbahnstation 
war damals Pskow, die letzte deutsche Königsberg. B. reiste am 23. von Königs- 
berg ab und kam am 29. März in Petersburg an.
	        
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