8 40 Das verwaltungsgerichtliche Verfahren. 95
Rechtsmittel, sondern im Sinne von verwaltungsgerichtlicher Klage angewandt. Ebenso
systemlos war die Bezeichnung der mittels Rechtsmittel anzufechtenden Entscheidungen;
die Ausdrücke „Beschlüsse“ und „Entscheidungen" wurden promiscue sowohl zur Be-
zeichnung von verwaltungsrichterlichen „Urteilen"“ als auch zur Bezeichnung von „Be-
schlüssen“", im Sinne von Beschlußnahmen der Verwaltungsbehörden in reinen Ver-
waltungsangelegenheiten gebraucht. Auch für die Ausdrücke „Bescheid“ und „Ver-
fügung“ fehlte es an einem einheitlichen, feststehenden Sprachgebrauch.
Die im Jahre 1911 abgeschlossene Revision der Verwaltungsgesetze brachte in allen
diesen Richtungen sehr wesentliche Verbesserungen. Vor allem unterscheidet das Verwaltungs-
rechtspflegegesetz in bezug auf Rechtsmittel nunmehr grundsätzlich:
a) die Berufung und die Revision gegen Urteile der Verwaltungsgerichte,
b) die Beschwerde gegen Beschlüsse des Gerichts, sowie gegen Beschlüsse
und Verfügungen des Vorsitzenden oder eines beauftragten oder ersuchten
Richters 1).
Unter Berufung wird dasjenige Rechtsmittel verstanden, das den Beteiligten Ge-
legenheit gibt, eine Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zur nochmaligen
Verhandlung und Entscheidung vor einer weiteren Instanz zu bringen, wobei das Verfahren
im wesentlichen demjenigen der ersten Instanz entspricht.
Die Revision ist dagegen ein Rechtsmittel, welches nur darauf gestützt werden
kann, daß die angefochtene Entscheidung auf der Nichtanwendung oder auf der unrichtigen
Anwendung des bestehenden Rechts beruhe, oder daß das Verfahren an wesentlichen Mängeln
leide, wodurch dem Verfahren in der Revisionsinstanz von vornherein bestimmte Grenzen
gezogen sind.
Unter den Begriff „Beschwerde' fällt lediglich die Prozeßbeschwerde.
2. Nach den von dem VRG. aufgestellten Allgemeinen Bestimmungen"
erscheinen als Rechtsmittelberechtigte einerseits die Beteiligten, andrerseits — im
öffentlichen Interesse — die Vorsitzenden der betreffenden Gerichte. Als „Beteiligte“ in
diesem Sinne gelten Gemeinden auch dann, wenn durch die verwaltungsgerichtliche Ent-
scheidung eine von den Gemeindeorganen erlassene Vorschrift, ein Beschluß oder eine Ent-
scheidung der Gemeinde als unwirksam bezeichnet, unberücksichtigt gelassen oder aufgehoben
wird (Art. 70). Eine berechtigte Neuerung ist, daß der Kreisrat im öffentlichen Interesse
auch gegenüber zweitinstanziellen Urteilen zur Rechtsmitteleinlegung befugt ist, sofern nicht
der Provinzialdirektor selbst das Rechtsmittel verfolgt (Art. 71) 2). Soweit eine Angelegenheit
das öffentliche Interesse berührt — außer in Disziplinarsachen —, kann eine angefochtene
Entscheidung auch zum Nachteil desjenigen geändert oder aufgehoben werden, der das Rechts-
mittel eingelegt hat (Art. 72). Nach den Motiven 3#) soll diese reformatio in peius jedoch nur
dann stattfinden, „sofern dies notwendig ist, um das Urteil mit dem objektiven Recht in Über-
einstimmung zu bringen“. Ein von einem Beteiligten gegen ein Urteil eingelegtes, aber
wieder zurückgenommenes Rechtsmittel kann unter bestimmten Voraussetzungen von dem
Vorsitzenden oder dem Vertreter des Staatsinteresses (Art. 89) im öffentlichen Interesse
weiter verfolgt werden (Art. 74).
3. Die Berufung findet vorbehaltlich ausdrücklicher, anderweitiger Bestimmungen
gegen die erstinstanziellen Urteile der Kreis-- und Provinzialausschüsse statt, ist an eine zwei-
wöchige Notfrist von der Zustellung des Urteils ab gebunden und wird durch Einreichung
einer Berufungsschrift bei dem Gerichte eingelegt, von welchem das angefochtene Urteil
erlassen ist (Art. 76—78) 4). Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung auch nach er-
folgtem Verzicht auf die Berufung oder Ablauf der Berufungsfrist anschließen. Zurücknahme
der Berufung hat den Verlust des Rechtsmittels und die Pflicht zur Tragung der durch das
1) Vgl. hierher und zum Ssolgenden Entwur, 1910, S. 822 f; Best S
2) Vgl. Entwurf 1910, S. 85; Best S
3) Siehe Entwurf 1910“ S. s6; Best S. zo
4) Vgl. Entwurf 1910 S. 86, 87; Best S. 36, 37.