102 Die Organisation des Staates. Die Staatsbehörden. * 44
konkreten Amtes unterworfen ist, und in die besonderen Amtspflichten, die
sich aus der Wahrnehmung bestimmter amtlicher Funktionen ergeben 1). Die ersteren ent-
stehen unmittelbar mit dem Beginne des Dienstverhältnisses, die letzteren erst mit der Ubernahme
der betreffenden Funktionen.
Die Abnahme bzw. Leistung des vorgeschriebenen Diensteides2), welche regel-
mäßig erst nach der Ubertragung eines bestimmten Staatsamts stattfindet, ist auf die Entstehung
der Beamtenpflichten ohne Einfluß; der Diensteid enthält nur eine feierliche Bekräftigung
bereits bestehender Pflichten. Das Gleiche gilt von dem bei der Anstellung zu leistenden
Verfassungseid (HV. 108).
Besonders hervorzuheben sind folgende Pflichten:
1. Die Pflicht zur Treue gegenüber dem Landesherrn, zum Gehorsam gegenüber
dem Gesetze und zur Beobachtung der Staatsverfassung (HV. Art. 108).
2. Die Pflicht zur Amtsübernahme, d. h. die Verpflichtung zur Ubernahme jedes Amtes
und jedes Geschäfts, welches der berufsmäßigen Ausbildung des betreffenden Beamten ent-
spricht, und welches zugleich innerhalb desjenigen Zweiges der staatlichen Verwaltung (im
weitesten Sinne) gelegen ist, dem sich der betreffende Beamte zugewandt hat 2). Besondere
Grundsätze gelten hinsichtlich der Amtsübernahme im Fall der Versetzung eines Beamten
aus disziplinären Gründen und im Fall der Versetzung richterlicher Beamter /.
3. Die Pflicht zum Gehorsam gegenüber den Befehlen der vorgesetzten Behörden
(„dienstlicher Gehorsam“ im Gegensatz zu dem unter 1 erwähnten „gesetzlichen Gehorsam"). Diese
Verpflichtung, welche sich auch, ohne daß es ihrer ausdrücklichen Statuierung oder Anerkennung
bedürfte 53), aus dem Wesen des Dienstverhältnisses ergibt, bedeutet nach der auch schon den
heutigen Rechtszustand richtig kennzeichnenden Formulierung des hessischen Beamtengesetz-
entwurfs (Art. 5) die Pflicht des Beamten, „alle Obliegenheiten, die das Amt mit sich bringt,
sowie alle ihm erteilten, seiner dienstlichen Stellung entsprechenden Nebenaufträge nach Maßgabe
der Gesetze, Verordnungen und Dienstvorschriften gewissenhaft wahrzunehmen.“ Die Ge-
horsamspflicht beschränkt sich auf die Erfüllung derjenigen Obliegenheiten, welche „das Amt
mit sich bringt““), findet also ihre Grenze in der Zuständigkeit einerseits des befehlenden,
andererseits des den Befehl empfangenden Staatsorgans7). Für den Vollzug verfassungs-
widriger Befehle der vorgesetzten Behörden ist ein Beamter nicht verantwortlich (H V. Art. 109);
macht eine untere Behörde sich ohne Vorwissen ihrer Obern einer Verfassungswidrigkeit
1) Bgl. Wiegand S. 37 ff.; s. auch Entw. Art. 5.
2) Siehe G. v. 12. X. 1890 (RBl. S. 278). Näheres, besonders auch die Eidesformeln
s. b. Wiegand S. 33 ff., woselbst sich auch die notwendigsten Literaturangaben über die
allgemeinen rechtlichen Wirkungen des Beamtenverhältnisses finden.
3) Im Diensteid verpflichtet sich der Beamte, das ihm übertragene Amt, sowie „iedes“
ihm „künftig zu übertragende Amt oder Geschäft“ getreulich zu versehen. Auch kann zufolge
Art. 16 des Staatsdienerediktes jeder Beamte „aus Gründen der Verwaltung“ „ohne Zurück-
setzung in der Dienstklasse und in dem Gehalt"“ versetzt werden. Die im Texte gezogene
Schranke ergibt sich jedoch aus der Art der Entstehung des Dienstverhältnisses, welche in der
Regel die Annahme rechtfertigen wird, daß der Eintritt in den Staatsdienst nur unter stillschweigen-
der Voraussetzung des Verbleibens in der anfänglich gewählten Laufbahn erfolgt ist. Eine
willkürliche Versetzung eines Beamten aus der einen Laufbahn in eine andere, z. B. aus dem
Verwaltungsdienst oder aus der akademischen Laufbahn in den Justisdienst, erscheint demnach
grundsätzlich als ausgeschlossen. Vgl. auch Wiegand S. 38 ff. — Der Entwurf beschränkt
die Versetzungsmöglichkeit auf „der Berufsbildung entsprechende“ Amter (Art. 3) und die Ver-
pflichtung zur Üübernahme von Nebengeschäften auf solche Geschäfte, welche „der dienstlichen
Stellung entsprechen“ (Art. 5).
4) Siehe unten S. 107f.
5) Vgl. aber HV. Art. 109, welcher eine indirekte Feststellung der dienstlichen Gehorsams-
pflicht enthält, und die Formel des Diensteides, sowie die Kreisratsinstruktion v. 1832, 5 2.
S. auch Wiegand S. 33 u. 46f.
6) Vgl. auch den Diensteid: „alle Ihnen vermöge Ihres Amtes obliegenden Pflichten..“
7) Vgl. hierher die eingehenden Ausführungen Cosacks S. 46 f. und Wiegands
S. 46 ff., sowie die von dem letzteren angeführte allgemeinstaatsrechtliche Literatur u. Judikatur.
Bezüglich der in der Literatur nicht behandelten Frage, ob die unteren Behörden befugt sind,
unmittelbare Befehle des Landesherrn entgegenzunehmen, vgl. LV. 1 1820 Beil. 15 S. 55, 56