Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

82 Die Entstehung und die weitere Entwicklung der Landgrasschaft Hessen-Darmstadt usw. 3 
  
mit kaiserlicher Genehmigung eine ausdrückliche Erneuerung und nähere Präzisierung der 
hessisch-thüringischen Erbverbrüderung statt; im Jahre 1457 wurde auch noch Brandenburg 
in dieselbe aufgenommen; jedoch erhielt der letztgenannte Erbvertrag, ebenso wie die neuer- 
liche, im Jahre 1614 abgeschlossene Erbeinigung der vorerwähnten drei Fürstenhäuser, nicht 
die Bestätigung des Kaisers. # 
Wie die meisten deutschen Staaten, so hatte auch Hessen unter der privatrechtlichen 
Auffassung der freien Teilbarkeit des Landes zu leiden 1). Philipp der Großmütige (1509 
bis 1567) war der letzte hessische Herrscher, der zufolge Erbschaft nochmals alle hessischen Lande 
in einer Hand vereinigte. 
§s 2. Die Entstehung und die weitere Entwicklung der Landgrafschaft Hessen- 
Darmstadt bis zum Untergang des alten Deutschen Reiches. I. Philipp der Groß- 
mütige hatte in seinem, im Jahre 1562 abgefaßten Testamente 2) seinen Söhnen den sorg- 
fältig erwogenen Rat gegeben, das Land nach seinem Tode nicht zu teilen; zugleich hatte er 
aber in der richtigen Erkenntnis der schwierigen Durchführbarkeit seines Wunsches schon 
eingehende Anordnungen für den Fall getroffen, „so sie nicht bey einander wohnen 
könnten oder wollten". Der in dem Testamente vorhergesehene Fall trat kurz nach 
Philipps Tode (1567) tatsächlich ein. Nachdem Philipps Söhne, Wilhelm, Ludwig, 
Philipp und Georg, zunächst in dem sogenannten Ziegenhainer Erb= oder Brüdewergleich 
vom 28. Mai 1568 3) die Wünsche und Anordnungen des väterlichen Testaments feierlich 
bestätigt und durch eingehende Verabredungen über ein gegenseitiges Sukzessionsrecht aller 
hessischen Fürsten ergänzt hatten, nahmen sie unmittelbar darauf in der vorgesehenen Weise 
die Teilung des Landes vor: Der älteste der Söhne, Wilhelm I., erhielt Niederhessen 
mit Cassel, den größten Teil von Ziegenhain und halb Schmalkalden; er wurde der Begründer 
des nachmaligen Kurfürstentums Hessen und des Hauses Hessen-Kassel. Der jüngste der 
Söhne, Georg I., erhielt die Obergrafschaft Katzenellenbogen mit Darmstadt; er wurde 
der Begründer der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt, des heutigen Großherzogtums Hessen, 
und des Hauses Hessen-Darmstadt. Die Erbteile der beiden mittleren Söhne, von welchen 
Ludwig IV. Oberhessen mit Marburg und Gießen, die Grafschaft Nidda und die Herr- 
schaft Eppstein, Philipp die Niedergrafschaft Katzenellenbogen mit Rheinfels und St. Goar 
erhalten hatte, fielen nach dem Aussterben dieser beiden Linien (Rheinfels 1583, Marburg 
1604) den beiden überlebenden Linien zu; das gleiche geschah nach dem Aussterben der Grafen 
Dietz (1570 — der Söhne Philipps des Großmütigen aus dessen Ehe mit Margarethe von 
der Saale — mit den kleinen Gebietsteilen, welche jenen zugeteilt worden waren. Die end- 
gültige Regelung des Besitzstandes der hessischen Fürsten erfolgte nach langen Erbschafts- 
streitigkeiten in dem sogenannten Fried- und Einigkeitsrezeß vom 14. April 
1648:). Obwohl die beiden hessischen Lande noch mehrere Jahrzehnte hindurch einige Ein- 
richtungen wie die allgemeinen Landtage und das gemeinsame Obergericht als gemeinschaft- 
liche Institutionen fortbestehen ließen, bildete die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt seit dem 
Jahre 1568 doch anerkanntermaßen einen selbständigen Staat für sich. Der Umfang des 
neuen Staates war anfangs allerdings ein recht geringer, jedoch erfuhr der Staat unter 
Georg I. und dessen Nachfolgern durch Erbschaft, Kauf und andere Erwerbstitel manchen an- 
sehnlichen Gebietszuwachs 5). Besonders wichtig war für die Festigung des Staatswesens 
u. 1846, 2 Bde.), I, S. 182. Schulze, II, S. 11.— Über die schon im Jahre 1292 erfolgte Belehnung 
Heinrichs I. mit der Reichsstadt Boineburg und der Stadt Eschwege, Heinrichs bisherigem Eigen- 
tum, s. Höhlbaum a. a. O. — Bezüglich der Zwecke der Lehensauftragung s. Löning, 
Die Erbverbrüderungen zwischen den Häusern Sachsen und Hessen, und Sachsen, Brandenburg 
und Hessen, 1867, S. 17. 
1) Der von Otto I. (1311—1328) aufgestellte Grundsatz der Unteilbarkeit des Landes wurde 
schon durch Ludwig II. (1413—1458) wieder durchbrochen (Schulze, II S. 8, 12). 
2) Abgedruckt bei Beck, II S. 52. 
3) Abgedruckt bei Beck, II S. 92, Schulze, II S. 72. 
4) Vgl. Schulze II, S. 18, 111. 
5) Vgl. hierüber besonders Beiträge z. Statistik des Großh. H. Bd. XI. S. 76; 
ferner L. Ewald, Histor. Uübersicht der Territorialveränderungen usw., Beiträge z. Statistik 
Bd. XIII. S. 1 ff.; s. auch Schrohe S. 30 ff. 
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