8 65 Die Verordnungen des Landesherrn und der Zentralbehörden. 165
struktion hervor. Der erste der genannten Paragraphen gewährt den Kreisräten „zur besseren
Führung der Administration und zur Erwirkung einer gleichförmigen Beobachtung bestehender
Gesetze und Verordnungen" allgemein das Recht der Erlassung von „Regulativen, welche
zur detaillierten Anwendung bestehender Gesetze oder Verordnungen auf die besonderen Ver-
hältnisse des Kreises oder einzelner Orte führen“". Der elfte Paragraph grenzt zunächst im
allgemeinen den „Wirkungskreis der Kreisräte als Polizeibeamte"“ ab; der folgende — als
„Fortsetzung“ bezeichnete Paragraph weist den Kreisräten „als Polizeiverwaltungsbeamten“
nachgenannte „aus dem vorhergehenden Paragraphen entspringende Attributionen“ zu:
1. Die Befugnis, „Gebote und Verbote für örtliche Interessen .. zu erlassen (d. i. also das
generelle Polizeiverordnungsrecht); 2. das Recht zum Erlaß von Notverordnungen; 3. die
Befugnis der Ergreifung „eigentlicher Polizeimaßregeln" (d. i. also das generelle Polizei-
verfügungsrecht); 4.—6. eine Reihe spezieller Polizeiverfügungsbefugnisse, wie Detention
und vorläufige Arretierung vorbehaltlich der Konkurrenz der Gerichte; endlich 7. — die einzige
Bestimmung rein dienstrechtlicher Natur — die Kontrolle der Diensttätigkeit der Lokalpolizei-
behörden und die Verfügung über die Verwendung gewisser Unterorgane, wie Sicherheits-
wachen, Feldschützen u. a., zu polizeilichen Zwecken.
Das vorstehende Beispiel läßt wohl keinen Zweifel darüber übrig: einmal, daß es sich
hier um den Erlaß von Rechtsvorschriften handelt; zum anderen, daß der Erlaß solcher
Rechtsvorschriften — ebenso wie man das Polizeiverordnungsrecht der Kreisräte als eine aus
ihren allgemeinen polizeilichen Befugnissen „entspringende Attribution“ ansah — als ein
Ausfluß des landesherrlichen „Verwaltungsrechts“ betrachtet wurde 1).
Dabei darf noch darauf hingewiesen werden, daß der Erlaß von Rechtsvorschriften auf dem
Gebiete der Landespolizei in Art. 72 HV. gerade mit besonderer Betonung als eine
der ständischen Mitwirkung bedürfende Angelegenheit bezeichnet wird.
Wenn trotz dieses, jedes Mißverständnis ausschließenden Grundsatzes gleichwohl Rechts-
vorschriften polizeilichen Inhalts vom Landesherrn ohne Mitwirkung der Stände erlassen
werden und mehr als ein Menschenalter (bis 1874) unter den wechselndsten politischen Ver-
hältnissen in Geltung bleiben konnten, so muß dies doch wohl als Beweis dafür angesehen
werden, daß die fraglichen Worte die Befugnis des Großherzogs ausdrücken, selbständige Rechts-
vorschriften auf dem Gebiete der staatlichen Verwaltung zu erlassen 2). Selbstverständlich sollte
damit nicht für alle Zeiten der Rechtszustand des absoluten Staates stabilisiert werden.
Das „Verwaltungsrecht“ des Großherzogs findet — ebenso wie sein Aufsichtsrecht — eine
dieses Recht mehr und mehr einengende Grenze in der fortschreitenden Verwaltungsgesetz-
gebung. Nur für die, allerdings Jahrzehnte währende, Ubergangszeit vom absoluten
zum konstitutionellen Staat ist die Notwendigkeit und die Möglichkeit zum Erlasse landesherr-
licher „Aufsichts-Rechtsverordnungen“ und „Verwaltungs-Rechtsverordnungen“ 3) von prak-
tischer Bedeutung. Von den aufsichtsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Befugnissen des
—
1) Ein weiteres Beispiel für eine „aus dem Verwaltungsrecht ausfließende“ Rechtsverordnung
bildet die „Verordnung gegen Beeinträchtigung der Posten betr.“ vom 20. VII. 1822 (NBl.
S. 227). Sie enthält außer in ihrem letzten Artikel ausschließlich Rechtssätze (mit Strafandrohung)
und verweist in ihren Eingangsworten ausdrücklich darauf, daß der Großherzog sich in dem
Art. 14 des Gesetzes vom 31. III. 1818 über die Verwaltung der Posten geeignete Verordnungen
gegen Beeinträchtigung des Postinstituts vorbehalten habe. — Auch die „Medizinalordnung“
vom 14. VIII. 1822 (RBl. S. 425) enthält neben Dienstvorschriften für die beamteten Arzte
eine Reihe von allgemein verbindlichen Rechtssätzen. — An ähnlichen Beispielen ist kein Mangel.
2) Daß und inwiefern der Erlaß von Rechtsvorschriften auf dem Gebiete der Verwaltung
ohne Verstoß gegen die begriffliche Scheidung von Gesetzgebung und Verwaltung möglich ist
(s. die Bedenken Aulls, a. a. O., S. 22), kann wohl aus dem obigen Beispiel entnommen
werden.
3) Diese Worte kennzeichnen wohl am einfachsten das, was unter den „aus dem Aufsichts-
und Verwaltungsrecht ausfließenden Verordnungen“ des Art. 73 zu verstehen ist. Durch den
Gebrauch dieser Worte wird zugleich zum Ausdrucke gebracht, daß „Dienstinstruktionen“ und
„Anstaltsverordnungen“, soweit sich ihr Inhalt — der Regel entsprechend — auf reine Ver-
waltungsvorschriften beschränkt, nicht unter die Aufsichts- und Verwaltungsrechtsverordnungen
zu subsummieren sind.