8 4 Das Verhältnis Hessens zu Gesamtdeutschland. 7
fliegende Pläne des Parlaments; Neugestaltung der Behördenorganisation und Schaffung
einer einheitlichen Landeskulturgesetzgebung, Gemeindeordnung, Kriminal- und Polizeistraf-
gesetzgebung, sowie anderer bedeutsamer Landesgesetze zum Zwecke einer raschen Verschmelzung
der bunt zusammengewürfelten Bestandteile des Staates; in der weiteren Folge eine immer
fühlbarer werdende Unterdrückung aller freiheitlichen Regungen von Bundes wegen; all-
gemeine Unzufriedenheit mit dem Bunde; dann die Freiheitsbewegung des Jahres 1848
und Erlaß zahlreicher, durch diese diktierter freiheitlicher Landesgesetze; endlich Sieg der Re-
aktion; Auflösung des Bundesverhältnisses, Kampf und Niederlage an der Seite Osterreichs
im Jahre 1866.
Das wichtigste Ereignis aus der hessischen Staatsgeschichte jener Zeit steht mit der
Bundesmitgliedschaft Hessens außer Zusammenhang: das ist der am 14. Februar 1828 durch
das Verdienst des hessischen Staatsministers Freiherrn du Thil zustandegekommene Abschluß des
preußisch--hessischen Zollvereins, des Vorläufers des deutschen Zollvereins 1).
Der Friedensschluß mit Preußen vom 3. September 1866 (Friedensvertrag nebst Aus-
führungspatenten s. Reg Bl. S. 404 ff.) verpflichtete Hessen — um zunächst das mehr Außer-
liche zu erwähnen — zur Zahlung von drei Millionen Kriegskosten, Abgabe des Postwesens
und Abtretung der vor kurzem an Hessen heimgefallenen Landgrafschaft Hessen-Homburg
und mehrerer oberhessischer Gebietsteile an Preußen; andererseits erhielt Hessen durch den
Friedensvertrag behufs Herstellung territorialer Einheit in der Provinz Oberhessen mehrere
vormals kurhessische, frankfurtische und nassauische Bezirke, darunter besonders das einstige
kurhessische Amt Nauheim mit den dort befindlichen Badeanstalten und Salinen.
II. Im Jahre 1867 (s. VO. v. 22. VI. 1867 RBl. S. 309 ff.) trat Hessen — und darin
lag natürlich die wichtigste Folge des Krieges von 1866 — mit den nördlich des Mains ge-
legenen Gebietsteilen (Oberhessen) dem neugegründeten Norddeutschen Bunde bei.
Der Eintritt in diese, nach ihrer Verfassung als Bundesstaat erscheinende, staatsrechtliche
Staatenverbindung bedeutete für Hessen den Verlust der im Jahre 1806 gewonnenen Sou-
veränität. In unmittelbarem Zusammenhange hiermit steht der Abschluß einer Militär-
konvention zwischen Hessen und Preußen, wonach der Großherzog die Großherzoglich Hessischen
Truppen für Krieg und Frieden dem Oberbefehl des Königs von Preußen unterstellte (s. Bek.
v. 10. IX. 1867, RBl. S. 409 ff.) 2).
III. Der deutsch -französische Krieg vom Jahre 1870/71 sah ganz Hessen auf seiten des
Norddeutschen Bundes und brachte die Erweiterung dieses Bundes zum Deutschen Reich.
Die im November 1870 zwischen den Bevollmächtigten des Norddeutschen Bundes und der
süddeutschen Staaten vereinbarten „deutschen Verfassungsverträge“, insbesondere die Ver-
handlung d. d. Versailles 15. November 1870 zwischen den Bevollmächtigten Hessens, des
Norddeutschen Bundes und Badens, dann der Vertrag d. d. Berlin 25. November 1870 wegen
Beitritts des Königreichs Württemberg und endlich derjenige d. d. Versailles 23. November
1870 wegen Beitritts des Königreichs Bayem zur Verfassung des zu gründenden neuen Deut-
schen Bundes, fanden die Zustimmung des hessischen Landtags 3). Damit waren die völker-
rechtlichen und staatsrechtlichen Voraussetzungen für das am 1. Januar 1871 erfolgende Ins-
lebentreten des Deutschen Reichs erfüllt. Am 31. Dezember 1870 wurde die am 15. November
1870 vereinbarte Verfassung des Deutschen Bundes mit den inzwischen getroffenen Abände-
rungen und den vorgenannten Verträgen, einschließlich der württembergischen Militärkonvention,
„zur Kenntnisnahme und Nachachtung in den nicht zum Norddeutschen Bunde gehörigen Theilen
des Großherzogthums“ im hessischen Regierungsblatt (S. 739 ff.) verkündigt. Am gleichen
Tage erfolgte in ähnlicher Weise eine Bekanntmachung über die Einführung einer großen
1) Siehe Wilh. Oncken, Der preußisch-hessische Zollverein vom 14. Februar 1828,
Akad. Festrede, Gießen 1878.
2) Siehe Werner, Die militärstaatsrechtliche Stellung des Großherzogs von Hessen,
Gieß. Diss., Mainz 1910.
3) Abdruck dieser Verträge s. u. a. bei Triepel, Quellensammlung zum Deutschen
Reichsstaatsrecht, 2. Aufl., 1907, S. 82 ff.; Sartorius, Sammlung von Reichsgesetzen
staats-- und verwaltungsrechtlichen Inhalts, 3. Aufl. 1910, S. 31 ff.; hess. RDBl. 1870 S. 739 ff.