Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

198 Die Finanzverwaltung. Die staatliche Finanzverwaltung. 8 80 
  
aus Anleihen, genannt, so wird hierdurch der Charakter des Finanzgesetzes als Auf- 
lagengesetz nicht berührt 1). — 
Wenn aus dem Gesagten entnommen werden muß, daß sich das Budgetrecht der hessischen 
Landstände nach der Verfassungsurkunde auf das Recht der Bewilligung der Steuern 
und der Prüfung der übrigen Staatseinnahmen sowie der Staatsausgaben 
beschränkt, so darf andererseits nicht verkannt werden 2), daß die seit langer Zeit übliche durch- 
aus gleichartige Behandlung des Ausgabeetats und des Einnahmeetats tatsächlich ausgleichend 
gewirkt hat, so daß praktisch ebenso gut von einem Ausgabebewilligungsrecht wie von einem 
Einnahmebewilligungsrecht der Stände gesprochen wird. Von besonderer Wichtigkeit aber 
ist die unbestreitbare Tatsache, daß die Regierung im Falledes Zustandekommens 
eines Finanzgesetzes an die einzelnen Einnahme= und Ausgabepositionen des 
diesem Gesetze beigegebenen Staatsvoranschlags ganz in der gleichen Weise gebunden ist, als 
wenn die Volksvertretung nach der Verfassung jede einzelne Einnahme oder Ausgabe zu „be- 
willigen“ hätte. Die Besonderheit liegt nur darin, daß diese Bindung in Hessen nicht un- 
mittelbar aus der Verfassung entspringt, sondern daß sie erst durch die dem Erlaß des 
Finanzgesetzes vorhergehende Budgetvereinbarung bewirkt wird. Von erheb- 
licher praktischer Bedeutung sind die geschilderten Eigentümlichkeiten des hessischen Budget- 
rechts demnach wohl nur für den Fall des Scheiterms der Budgetvereinbarung. 
II. Aus den vorstehenden Ausführungen über das Wesen der Etatsfeststellung und die 
Besonderheiten des hessischen Budgetrechts ergeben sich eine Reihe von wichtigen Folgerungen: 
1. Das Zustandekommen eines Finanzgesetzes ist keine rechtliche Notwendigkeit. Die 
hessische Verfassungsurkunde sieht es allerdings als Regel an, daß in regelmäßigen Zwischen- 
räumen jeweils ein neues Finanzgesetz erlassen wird, aber sie sieht in dem Erlasse eines solchen 
Gesetzes nicht die rechtliche Bedingung der Finanzverwaltung. Wenn die zum Zustandekommen 
eines Finanzgesetzes unbedingt erforderliche Einigung zwischen Regierung und Volksvertretung 
nicht zustande kommt — woran sowohl die Regierung wie die Stände die Schuld tragen 
können — so liegt hierin an sich noch kein verfassungswidriger Zustand. Wenn es auch 
in heutiger Zeit praktisch kaum möglich sein wird, daß die Regierung mit Rücksicht auf 
den ausreichenden Ertrag der übrigen Staatseinnahmen auf eine Steueranforderung und 
auf den Erlaß eines Auflagengesetzes verzichtet, so ist dieser Fall doch theoretisch denkbar. 
Ebenso ist der Gedanke theoretisch nicht auszuschließen, daß die Volksvertretung ihrerseits 
zu der Uberzeugung kommt, die Regierung könne die erforderlichen Staatsausgaben ohne 
Steuereinnahmen bestreiten, und daß die Landstände aus diesem Grunde die Steuern ver- 
weigern. In beiden Fällen würde die Etatslosigkeit auf legalem Wege entstanden sein 
und — bei genügenden „bewilligungsfreien“ Staatseinnahmen 2) ohne Verfassungsbruch 
auch noch über die Zeit des sechsmonatlichen Steuerprovisoriums (Art. 69) hinaus fort- 
dauern können. Dabei ist allerdings, um Mißverständnisse auszuschließen, sofort zu bemerken, 
daß das Nichtzustandekommen eines Finanzgesetzes nicht notwendig das Nichtzustandekommen 
einer Budgetvereinbarung zur Folge hat. Es ist nicht nur theoretisch denkbar, sondern auch 
schon praktisch vorgekommen, daß ein Finanzgesetz nicht erlassen wurde, daß aber trotzdem 
eine Vereinbarung über die Etatsaufstellung zwischen Regierung und Volksvertretung zu- 
stande kam. 
2. Das Wesen der Etatsaufstellung als Verwaltungsakt hat die selbstverständliche Folge, 
daß bei der Vornahme dieses Aktes sowohl die Regierung als auch die Volksvertretung an 
das Gesetz gebunden sind. Da keiner der gesetzgebenden Faktoren in der rechtlichen Lage ist, 
1) Daß die ständische Zustimmung zur Aufnahme von Anleihen eingeholt werden muß, 
beruht nicht auf dem jeweiligen Finanzgesetz, welches solche außerordentlichen Deckungsmittel 
aufführt, sondern unmittelbar auf der Verisassung (vol. HV. Art. 71 und Cosack, S. 62). — 
Sel: 5 hierzu u. zum folgenden die vortrefflichen budgetrechtlichen Erörterungen Cosacks 
2) Siehe van Calker, VG. S. 78. 
3) Das heißt von der Zustimmung der Landstände unabhängigen Staatseinnahmen, wie 
. B. aus Domänen, Eisenbahnbetriel, sonstigen Staatsbetrieben, Schenkungen. 
 
	        
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