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vom 21. August 1901 (RBl. S. 455) hinsichtlich der Jnanspruchnahme militäri—
scher Hilfe bei öffentlichen Notständen, d. h. bei „Gefahr für Leben oder
Eigentum“ und „ausnahmsweise bei erheblichen Störungen des öffentlichen Verkehrs“. In
solchen Fällen sind zu Aufforderungen von Hilfeleistungen in erster Linie die Abteilung für
Bauwesen des Finanzministeriums und die Provinzialdirektionen, bei dringender Gefahr
aber auch alle übrigen staatlichen Behörden, namentlich die Kreisämter und Wasserbauämter,
sowie die Eisenbahnbehörden zuständig; Gemeindebehörden und Privatpersonen haben sich
an das zuständige Kreisamt zu wenden. Alles weitere ist teils in der Vereinbarung geregelt,
teils der Bestimmung des Generalkommandos überlassen. Die Pflicht zur Kostentragung
ist durch die Vereinbarung auf der Grundlage geordnet, daß nur der tatsächliche Aufwand
bzw. Schaden des Truppenteils zu ersetzen ist; die Verwaltungsbehörden brauchen sich daher
beim Ansuchen um Nothilfe nicht noch im besonderen zur Kostentragung zu verpflichten.
10. Eine durchgreifende Veränderung der geschilderten polizeilichen Zuständigkeiten ergibt
sich aus der ausschließlich dem Kaiser zustehenden Erklärung des Kriegszustandes. Diese
bewirkt nach den zufolge RV. Art. 68 auch für Hessen maßgebenden Vorschriften des preußi-
schen Gesetzes vom 4. Juni 1851 den Ubergang der vollziehenden Gewalt an die Militärbefehls-
haber sowie die vorübergehende Aufhebung der verfassungsmäßigen Garantien gegen ungerecht-
fertigte Verhaftung, Haussuchungen, Beschlagnahme von Papieren, Ausnahmegerichte usw. 1).
#86. Polizeiverfügung und Polizeizwang. I. Unter Polizeiverfügungen
sind diejenigen Anordnungen der Polizeibehörden oder ihrer Unterorgane zu verstehen, durch
welche diese in Erfüllung ihrer polizeilichen Aufgaben zur Durchführung einer bestehenden
Rechtsvorschrift einer einzelnen Person oder mehreren individuell bestimmbaren Personen
ein bestimmtes Verhalten vorschreiben oder verbieten 2). Die Polizeiverfügungen stellen nie-
mals neue Rechtssätze auf, sondern sie dienen nur der Anwendung der geltenden Rechtssätze
und erschöpfen daher ihre rechtliche Wirkung in der Ordnung der ihren Gegenstand bildenden
individuellen Fälle. Welchen Inhalt die polizeilichen Verfügungen haben können, ist durch
die Gesetze nicht bis ins einzelne geregelt, ergibt sich aber aus dem Wesen und den Aufgaben
der Polizei.
Die hessische Gesetzgebung (K P. Art. 66; St O. Art. 129 b; LGO. 128 a) hat die Grenzen
des polizeilichen Verfügungsrechts in folgender Weise gezogen 5):
1. Der Kreisrat (bzw. in den Stadtgemeinden der Lokalpolizeibeamte)
ist befugt, innerhalb seiner Zuständigkeit im öffentlichen Interesse:
a) gefahrbringende oder rechts- oder ordnungswidrige Zustände zu beseitigen und deren
Entstehung oder Fortsetzung zu hindern;
b) die Erfüllung solcher Verbindlichkeiten des öffentlichen Rechts, für deren zwangs-
weisen Vollzug ein besonderes Verfahren nicht vorgeschrieben ist, zu erzwingen.
2. Zur Durchführung dieser Befugnisse stehen den genannten Polizeibehörden folgende
Mittel zu Gebote:
a) der Erlaß einfacher Gebote oder Verbote ohne Zwangs= oder Strafandrohung;
b) die Verbindung des polizeilichen Gebots oder Verbots mit UAndrohungeiner
Geldstrafe bis zu 90 Mk., und zwar, soweit möglich, durch schriftliche Verfügung oder
durch Eröffnung zu Protokoll. Dieses Mittel ist nur dann zulässig, wenn eine Unter-
lassung erzwungen werden soll oder wenn die zu erzwingende Handlung nicht durch
dritte ausgeführt werden kann (KPO. Art. 66 III St O. Art. 129 b II Z. 3);
e) die sog. Ersatzvornahme. Diese besteht darin, daß die Polizeibehörde eine von
ihr befohlene Handlung auf Kosten des Pflichtigen durch dritte ausführen läßt; sie ist in ihrer
–
1) Bgl. im einzelnen namentlich Dambitsch, Die VBerfassung des Deutschen Reichs,
mit Erläuterungen, Berlin 1910, S. 615—620.
2) Vgl. auch Definition und Literaturangaben bei Meyer-Dochow S. 85.
3) zuglic des Polizeiverfügungsrechts des Landesherrn, der Zentralbehörden und der
Provinzialdirektoren s. oben §# 85