12 Die natürlichen Grundlagen des Staatswesens. Die Bevölkerung des Staates. 89
weiteren Personenkreise angehören. A minore ad majus fortschreitend sollen hier zunächst
die Rechtsstellung der Ausländer, dann diejenige der Reichsinländer ohne hessische
Staatsangehörigkeit, endlich diejenige der hessischen Staatsangehörigen und ihrer besonderen
Unterarten betrachtet werden 1).
5 9. Die Ausländer einschließlich der Exterritorialen. I. Der Begriff des
Ausländers, oder richtiger des Staatsfremden, bestimmt sich nach Reichs-
recht; er umfaßt alle diejenigen Personen, welche nicht die deutsche Reichsangehörigkeit
besitzen, also auch Apoliden, d. h. Personen, welche überhaupt keine Staatsangehörigkeit
haben2:). Die Regelung der rechtlichen Stellung der Staatsfremden ist grundsätzlich
Sache der Landesgesetzgebung; jedoch enthält auch die Reichsgesetzgebung (vgl. z. B.
FreizügigkGes. &§ 1, 2, StPpO. § 112, RGO. § 56 d, Uw G. F5 60) zahlreiche Bestimmungen,
welche mittelbar oder unmittelbar die Rechtsstellung der Ausländer betreffen. Indirekte
Schranken ergeben sich für den Einzelstaat aus der selbstverständlichen Pflicht, weder durch
seine Gesetzgebung noch durch seine Verwaltungsmaßnahmen dem Reichsinteresse zu schaden;
aus diesem Gesichtspunkt müßte es beispielsweise als unzulässig erachtet werden, wenn Hessen
die Angehörigen bestimmter auswärtiger Staaten in bezug auf Aufenthaltsgewährung, Ver-
leihung der Staatsangehörigkeit, Zulassung zur Benützung staatlicher Einrichtungen usw. aus-
drücklich ungünstiger behandelte als andere Staatsfremde ꝰ).
Die HV. schließt in ihrem Art. 12 an sich jeden Nicht-Inländer, d. h. jeden Nicht-Hessen,
von dem Genusse aller bürgerlichen Rechte, sowohl der Privatrechte als der öffentlichen (des
Staatsbürgerrechts), aus; diese Bestimmung hat jedoch nur noch geringe Geltung. Was die
nichthessischen Reichsangehörigen anlangt, so ist, wie unten näher auszuführen sein wird, diesen
gegenüber die Anwendung des Art. 12 HV. im Hinblick auf Art. 3 RV. überhaupt nicht
mehr statthaft. Was aber die Reichsausländer betrifft, so gilt für sie heute im all-
gemeinen folgendes:
1. In allen zivilrechtlichen Verhältnissen werden die Ausländer den Staats-
angehörigen des Aufenthaltsstaats grundsätzlich gleichgestellt. Von diesem Grundsatze bestehen
jedoch nach hessischem Recht u. a. folgende, praktisch bedeutsame Ausnahmen:
à) in bezug auf Eheschließung-): Will ein Ausländer in Hessen eine Ehe ein-
gehen, so muß er dem Standesbeamten durch Zeugnisse der zuständigen Behörde des Staates,
dem er angehört, in der Regel folgendes nachweisen:
) daß der beabsichtigten Eheschließung nach dem bürgerlichen Rechte seines Heimat-
staates kein Hindernis im Wege steht:;
9 daß er nach den Gesetzen seiner Heimat befugt ist, ohne staatliche Erlaubnis eine Ehe
im Ausland einzugehen, durch welche seine Staatsangehörigkeit auch auf seine Ehefrau und
seine ehelichen Kinder übertragen wird, oder daß er die nach den Gesetzen seiner Heimat er-
forderliche Erlaubnis zu der beabsichtigten Ehe erhalten hat.
Die Bestimmung unter 9) betrifft öffentlichrechtliche Verhältnisse und kann nur auf
männliche Ausländer Anwendung finden. Zufolge bestehender Staatsverträge bedürfen
Niederländer, Schweden, Norweger, Italiener, Belgier und Schweizer des unter 9) genannten
Nachweises nicht.
1) Unter der Gesamtbevölkerung Hessens (1282051 Einwohner) waren am 1. Dezember
1910 insgesamt 11 326, d. s. 8,8 %%00, Reichsausländer, wovon auf die Provinz Starkenburg 6388,
auf Oberhessen 1572, auf -heinhessen 3366 entsielen. Vgl. im einzelnen über deren Verteilung,
wirtschaftliche Verhöltnisse und Sonstiges die mterestanten Ausführungen bei O. Meller, Die
Ausländer i. Gr. H., Mitteilgn. d. Zentralstelle f. L., 1912, Sondernummer 1, S. 1—11.
2) Anders Göz, Württembergisches Staatsrecht, S. 20, der als Ausländer nur die An-
gehörigen von Staaten ansieht, welche nicht zum Deutschen Reiche gehören.
3) Vgl. Laband i. DJ3. 1906 S. 613 f. („Die Reichsaufsicht über die Fremdenpolizei“).
4) Siehe BGB. 7+1315 Abs. 2; hess. AG. z. BG. Art. 104; Dienstanweisung f. d. Großh
Standesbeamten v. 22. Xl. 1899, RVl. S. 1095 ff.; bes. S. 1133. — Vgl. auch Heinzerling,
Hess. Privatrecht, Darmstadt 1904, S. 295 und W olf- Gauf-Fuchs, Hess. Landes-
privatrecht (Dernburg, Bürgerl. Recht, Erg B VII), 1910, S. 513 ff.