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so hoch abgeschätzt werden, als es, je nach seiner Beschaffenheit, nach den gesetzlichen Grundsätzen
über die Ausmittelung der Entschädigungssumme bei Abtretung von Privateigentum zu
öffentlichen Zwecken 1) gewertet werden kann2). Bei „bebaubarem“ Gelände ist dagegen
berechtigterweise dessen bisherige Verwertbarkeit als Bauplatz sowohl bei der Feststellung
der Höhe der Entschädigungsleistung, als auch bei der Bestimmung des Zeitpunktes, von welchem
an der Grundeigentümer eine Entschädigung beziehungsweise die Enteignung verlangen kann,
zu berücksichtigen 2). Noch günstiger ist die Lage des Eigentümers, wenn es sichum, bebautes“
Gelände handelt, d. h. wenn bestehende Gebäude von den neuen Fluchtlinien der Straßen
und öffentlichen Plätze so getroffen werden, daß ihr Areal zu den Straßen und Plätzen zu
ziehen ist.
Für die durch die Festsetzung der Fluchtlinien herbeigeführten bloßen Beschrän-
kungen der Baufreiheit wird in der Regel keine Entschädigung gewährt. Aus-
nahmen finden nur in wenigen bestimmten Fällen statt. Im einzelnen s. BO. Art. 11—17.
2. Die Herstellung der Ortsstraßen (B0. Art. 19—22, AV. g8 32—39).
Die ordnungsmäßige Herstellung und Unterhaltung der im öffentlichen Interesse notwendigen
Ortsstraßen und öffentlichen Plätze obliegt, vorbehaltlich des Bestehens besonderer privat-
rechtlicher Verpflichtungen und vorbehaltlich der Sonderbestimmungen für Ortsdurchfahrten,
den Gemeinden (BO. 19). Ein Teil dieser Lasten kann jedoch auf die nächsten Interessenten
abgewälzt werden, indem durch Ortsstatut festgesetzt wird, daß bei der Anlegung einer neuen
oder bei der Verlängerung einer schon bestehenden Straße, sowie bei dem Anbau an schon
vorhandenen, bisher unbebauten Straßen, der Aufwand für die Erwerbung des nötigen
Straßengeländes, für Herstellung der Regen- und Abfallwasserkanäle, für die Erdarbeiten
zur Herstellung des Straßenkörpers, für die erste Chaussierung der Fahrbahn und für Lic
Anlegung gepflasterter Gossen von den an die Straße angrenzenden Grundbesitzern ganz oder
teilweise zu tragen oder zu ersetzen ist. Diese Verpflichtung tritt ein, sobald auf den betreffenden
Grundstücken neue oder ältere Gebäude an die neue Baufluchtlinie zu stehen kommen oder
ihren Ausgang nach der neuen Straße erhalten. Ebenso kann die Gemeinde sich auch Ersatz
für die Herstellung und Unterhaltung der Trottoirs verschaffen. Auch die Herstellung von
Kanälen und Bürgersteigen in schon bestehenden Straßen kann in ähnlicher Weise auf die
Grundanlieger abgewälzt werden (BO. 21; Pfaff I S. 58ff.).
Die Voraussetzungen, unter welchen die Eröffnung und Herstellung einer Straße zu
erfolgen hat, sowie die Reihenfolge, in welcher die nach dem Ortsplane anzulegenden Straßen
oder Bauquartiere zu eröffnen sind, bestimmt sich nach dem Ortsbauplan. Sobald die Be-
bauung einen bestimmten Umfang erreicht hat oder sicher zu erreichen verspricht, tritt gesetz-
licher Zwang ein (BO. 20, MV. 36). — Die Anlage von Privatstraßen, welche dem
öffentlichen Verkehr unbeschränkt übergeben werden sollen, bedarf der Genehmigung der
Gemeindebehörden und des Kreisamts (BO. 22, Pfaff S. 62).
III. Die für einzelne Bauten geltenden polizeilichen Bestim-
mungen (B0. Art. 23—61, AV. ö# 40—79). 1. Allgemeine Bestimmungen
(BO. 23—28, AV. ös 40—47). Die Bestimmungen der B0. erstrecken sich auf alle Bauten
im Sinne des Gesetzes — d. s. namentlich alle Arten von Gebäuden, Kellern, Brunnen,
Kanälen, Abtritt= und Abfallgruben und Einfriedigungen — sei es nun, daß zu deren Her-
stellung eine polizeiliche Genehmigung oder nur eine vorgängige Anzeige erforderlich ist. Auch
die Beschaffenheit und Einteilung der Bauplätze unterliegt bestimmten baupolizeilichen Vor-
schriften (BO. 26). Wenn der bauliche Zustand eines „Bauwesens“") für Menschen oder
fremdes z Eigentum gefährlich ist, so ist der Eigentümer zur rechtzeitigen Abhilfe, nötigenfalls
Siehe Enteignungsgesetz Art. 5 ff.
Dabei ist es selbstverständlich gleichgültig, ob der Grundeigentümer vielleicht darauf
wetulsgt hat, daß das fragliche Gelände wirkliche Bauplatzqualität erhält. S. Motive, ab-
gedruckt bei Pfaff S. 37, u. BO. Art. 14.
3) Bgl. BO. Art. 12, für dessen Gestaltung das preuß. Gesetz vom 2. VII. 1875, 5+ 13
Pos. 3, vorbildlich war.
4 Dieser Ausdruck ist dem württembergischen Recht entnommen; s. oben S. 246.