Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

96 . » Bauwesen. 249 
  
so hoch abgeschätzt werden, als es, je nach seiner Beschaffenheit, nach den gesetzlichen Grundsätzen 
über die Ausmittelung der Entschädigungssumme bei Abtretung von Privateigentum zu 
öffentlichen Zwecken 1) gewertet werden kann2). Bei „bebaubarem“ Gelände ist dagegen 
berechtigterweise dessen bisherige Verwertbarkeit als Bauplatz sowohl bei der Feststellung 
der Höhe der Entschädigungsleistung, als auch bei der Bestimmung des Zeitpunktes, von welchem 
an der Grundeigentümer eine Entschädigung beziehungsweise die Enteignung verlangen kann, 
zu berücksichtigen 2). Noch günstiger ist die Lage des Eigentümers, wenn es sichum, bebautes“ 
Gelände handelt, d. h. wenn bestehende Gebäude von den neuen Fluchtlinien der Straßen 
und öffentlichen Plätze so getroffen werden, daß ihr Areal zu den Straßen und Plätzen zu 
ziehen ist. 
Für die durch die Festsetzung der Fluchtlinien herbeigeführten bloßen Beschrän- 
kungen der Baufreiheit wird in der Regel keine Entschädigung gewährt. Aus- 
nahmen finden nur in wenigen bestimmten Fällen statt. Im einzelnen s. BO. Art. 11—17. 
2. Die Herstellung der Ortsstraßen (B0. Art. 19—22, AV. g8 32—39). 
Die ordnungsmäßige Herstellung und Unterhaltung der im öffentlichen Interesse notwendigen 
Ortsstraßen und öffentlichen Plätze obliegt, vorbehaltlich des Bestehens besonderer privat- 
rechtlicher Verpflichtungen und vorbehaltlich der Sonderbestimmungen für Ortsdurchfahrten, 
den Gemeinden (BO. 19). Ein Teil dieser Lasten kann jedoch auf die nächsten Interessenten 
abgewälzt werden, indem durch Ortsstatut festgesetzt wird, daß bei der Anlegung einer neuen 
oder bei der Verlängerung einer schon bestehenden Straße, sowie bei dem Anbau an schon 
vorhandenen, bisher unbebauten Straßen, der Aufwand für die Erwerbung des nötigen 
Straßengeländes, für Herstellung der Regen- und Abfallwasserkanäle, für die Erdarbeiten 
zur Herstellung des Straßenkörpers, für die erste Chaussierung der Fahrbahn und für Lic 
Anlegung gepflasterter Gossen von den an die Straße angrenzenden Grundbesitzern ganz oder 
teilweise zu tragen oder zu ersetzen ist. Diese Verpflichtung tritt ein, sobald auf den betreffenden 
Grundstücken neue oder ältere Gebäude an die neue Baufluchtlinie zu stehen kommen oder 
ihren Ausgang nach der neuen Straße erhalten. Ebenso kann die Gemeinde sich auch Ersatz 
für die Herstellung und Unterhaltung der Trottoirs verschaffen. Auch die Herstellung von 
Kanälen und Bürgersteigen in schon bestehenden Straßen kann in ähnlicher Weise auf die 
Grundanlieger abgewälzt werden (BO. 21; Pfaff I S. 58ff.). 
Die Voraussetzungen, unter welchen die Eröffnung und Herstellung einer Straße zu 
erfolgen hat, sowie die Reihenfolge, in welcher die nach dem Ortsplane anzulegenden Straßen 
oder Bauquartiere zu eröffnen sind, bestimmt sich nach dem Ortsbauplan. Sobald die Be- 
bauung einen bestimmten Umfang erreicht hat oder sicher zu erreichen verspricht, tritt gesetz- 
licher Zwang ein (BO. 20, MV. 36). — Die Anlage von Privatstraßen, welche dem 
öffentlichen Verkehr unbeschränkt übergeben werden sollen, bedarf der Genehmigung der 
Gemeindebehörden und des Kreisamts (BO. 22, Pfaff S. 62). 
III. Die für einzelne Bauten geltenden polizeilichen Bestim- 
mungen (B0. Art. 23—61, AV. ö# 40—79). 1. Allgemeine Bestimmungen 
(BO. 23—28, AV. ös 40—47). Die Bestimmungen der B0. erstrecken sich auf alle Bauten 
im Sinne des Gesetzes — d. s. namentlich alle Arten von Gebäuden, Kellern, Brunnen, 
Kanälen, Abtritt= und Abfallgruben und Einfriedigungen — sei es nun, daß zu deren Her- 
stellung eine polizeiliche Genehmigung oder nur eine vorgängige Anzeige erforderlich ist. Auch 
die Beschaffenheit und Einteilung der Bauplätze unterliegt bestimmten baupolizeilichen Vor- 
schriften (BO. 26). Wenn der bauliche Zustand eines „Bauwesens“") für Menschen oder 
fremdes z Eigentum gefährlich ist, so ist der Eigentümer zur rechtzeitigen Abhilfe, nötigenfalls 
  
Siehe Enteignungsgesetz Art. 5 ff. 
Dabei ist es selbstverständlich gleichgültig, ob der Grundeigentümer vielleicht darauf 
wetulsgt hat, daß das fragliche Gelände wirkliche Bauplatzqualität erhält. S. Motive, ab- 
gedruckt bei Pfaff S. 37, u. BO. Art. 14. 
3) Bgl. BO. Art. 12, für dessen Gestaltung das preuß. Gesetz vom 2. VII. 1875, 5+ 13 
Pos. 3, vorbildlich war. 
4 Dieser Ausdruck ist dem württembergischen Recht entnommen; s. oben S. 246.
	        
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