Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 12 Die besonderen Klassen unter den hessischen Staatsang ehörigen. 17 
  
Reichsangehörigen aufgelegt wurden, im wesentlichen nur noch in der besonderen Treupflicht 
des hessischen Untertanen gegenüber dem Heimatsstaat und dessen Landesherrn1). Was die 
Verpflichtung der Hessen „zu gleicher Teilnahme an den Staatslasten“ anlangt, welche in 
Art. 30 HV. ausdrücklich statuiert wird, so handelt es sich hierbei zunächst nur um die recht- 
liche Gleichstellung der hessischen Staatsangehörigen unter sich, im Gegensatz zu der 
früheren Privilegierung einzelner Stände, nicht um eine Abgrenzung der Pflichten der 
Hessen gegenüber den Pflichten der Nichthessen. Zudem besteht bezüglich der wich- 
tigsten Staatslast, der Militärlast, heute nach Reichsrecht keinerlei Unterschied mehr zwischen 
hessischen und nichthessischen Reichsangehörigen. Von rechtlicher Bedeutung ist diese Unter- 
scheidung indessen noch auf dem Gebiete der Staatsbesteuerung. Die Landesgesetzgebung 
unterscheidet hier 2) hinsichtlich der Heranziehung zur Steuer ausdrücklich zwischen „Angehörigen 
des Großherzogtums,“ „Angehörigen anderer deutscher Staaten“ und „Reichsausländem“. — 
Innerhalb der Klasse der Staatsangehörigen sind drei engere Gruppen zu unterscheiden, 
die der Staatsbürger, der Standesherin und des niederen Adels, die im Folgenden näher 
zu behandeln sind. 
§l 12. Die besonderen Klassen unter den hessischen Staatsangehörigen. 
I. Die Staatsbürger. 
Hessen gehört zu den wenigen Staatens), welche das Staatsbürgerrecht neben der Staats- 
angehörigkeit als ein besonderes Rechtsinstitut ausgebildet haben. Die frühere Bedeutung 
des Staatsbürgerrechts (vgl. HV. Art. 12, 14) ist allerdings heute so gut wie verschwunden 
und hat im wesentlichen nur noch historisches Interesse; den einzigen Rechtsinhalt des 
Staatsbürgerrechts bildete bis zur Verfassungsreform von 1911 noch der Anspruch seiner 
Besitzer auf aktive und passive Teilnahme an der Bildung der Volksvertretung“). 
Der Erwerb des Staatsbürgerrechts ist gemäß Art. 14 I vorbehaltlich der für die Standes- 
herin geltenden Sonderbestimmungen an folgende Voraussetzungen geknüpft: Hessische Staats- 
angehörigkeit, Volljährigkeit 5), männliches Geschlecht, dreijähriger Aufenthalt in Hessen und 
Nichtbesitz einer „fremden“, d. h. außerdeutschen Staatsangehörigkeit. Nach der HV. ist 
„fremd“ zwar gleichbedeutend mit „nichthessisch“, im Hinblick auf RV. Art. 3 muß die Be- 
deutung aber in der angegebenen Weise eingeschränkt werden. Uber den Verlust des Staats- 
bürgerrechts enthält die Verfassung selbst keine Bestimmung; es unterliegt aber wohl keinem 
Zweifel, daß der Wegfall einer der vorgenannten Voraussetzungen — also Verlust des hessischen 
Indigenats, Erwerb einer außerdeutschen Staatsangehörigkeit oder Aufgabe des hessischen 
Wohnsitzes — den Verlust des Staatsbürgerrechts notwendig zur Folge haben. 
Alle „Staatsbürger“ sind gemäß H V. 108 bei der Ansässigmachung und bei der Huldigung#) 
1) Bgl. RStGB. gg 80, 94, 95, 96, 97. 
2) Vgl. z. B. G., die allgemeine Einkommensteuer betreffend, v. 12. Aug. 1899 (RBl. 
S. 472), Art. 1; G., die Vermögenssteuer betreffend, vom gl. Tage (RBl. S. 499) Art. 3. — 
S. hierüber unten ### 74, 75. 
3) Meyer-Anschütz S. 215 Anm. 3 nennt in diesem Zusammenhange Hessen nicht. 
4) Bgl. HV. Art. 12, WG. (— Gesetz v. 8. Nov. 1872, die Zusammensetzung der beiden 
Kammern der Stände und die Wahlen der Abgeordneten betreffend), Art. 2, 6, 7, 8, 11, 12. 
Nach dem Landständegesetz von 1911 Art. 6 ff. sind die Voraussetzungen für das aktive Land- 
tagswahlrecht und für den Eintritt in eine der beiden Kammern zwar auch heute noch in der 
Hauptsache an den Besitz derjenigen Eigenschaften geknüpft, von welchen der Besitz des Staats- 
* abhängig war, der Ausdruck „Staatsbürger“ wird aber in jenem Gesetze nicht mehr 
gebraucht. 
5) Nach der zur Zeit der Erlassung der HV. geltenden Gesetzgebung der Provinzen Starken- 
burg und Oberhessen endigte die Minderjährigkeit erst mit dem Ablauf des 25. Lebensjahres 
(vgl. Bopp, Rechtsfreund S. 416). Trotz der späteren, zunächst landesgesetzlichen, dann reichs- 
rechtlichen Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf das 21. Lebensjahr ist als Voraussetzung 
des attiven und passiven Landtagswahlrechts die Zurücklegung des 25. Lebensjahres beibehalten 
worden. 
6) Bezüglich der noch heute gebräuchlichen Huldigung und der Huldigungsformel vgl. V. 
v. 16. Sept. 1808, Eigenbrodt, Handb. d. Großh. Hess. Verordnungen v. J. 1803 an, 
Darmstadt 1816 f. III 166. — Über einen früheren vergeblichen Versuch ihrer Beseitigung 
van Calker, Hessen. 2
	        
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