Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

298 Das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften. § 117 
  
fassung und das Bekenntnis neu zu bildender Religionsgemeinschaften weder diesem Vor- 
wande dienen, noch sonstwie den Staatsgesetzen und der Sittlichkeit widersprechen (G. v. 
23. IV. 1875, die rechtl. Stellg. usw. betr., Art. 3), c) Offentliche Wege und Plätze 1) können 
zu kirchlichen oder religiösen Feierlichkeiten nur mit Zustimmung der Obrigkeit benützt werden 
(G. v. 23. IV. 1875, die rechtl. Stellg. d. K. usw. betr., Art. 4). d) Die Diener und Anstalten 
der Kirchen und Religionsgemeinschaften bleiben in ihren bürgerlichen und staatsbürgerlichen 
Beziehungen den Staatsgesetzen unterworfen (vorbez. G. Art. 4). e) Alle kirchlichen Ver- 
ordnungen müssen gleichzeitig mit der Verkündigung der Staatsregierung mitgeteilt werden. 
Keine Verordnung der Kirchen oder Religionsgemeinschaften kann in bezug auf bürgerliche 
oder staatsbürgerliche Verhältnisse rechtliche Geltung beanspruchen oder in Vollzug gesetzt 
werden, bevor sie die Genehmigung des Staats erholten hat (a. a. O. Art. 5) 2). 1) Die 
Anwendung der vom Staate zugelassenen kirchlichen Straf= und Zuchtmittel ist mit Rücksicht 
auf die Möglichkeit von Konflikten zwischen kirchlichen und staatlichen Forderungen für bestimmte 
Fälle verboten (G. v. 23. IV. 1875, den Mißbrauch der geistl. Amtsgewalt betr., Art. 9 (s. unten 
S. 300|). g) Kein Geistlicher darf öffentliche Vorträge in einer Kirche oder an einem anderen 
zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte dazu anwenden, um aus Anlaß öffentlicher, 
nicht rein kirchlicher Wahlen auf die Wahlberechtigten in einer bestimmten Parteirichtung 
einzuwirken (a. a. O. Art. 11). h) Gegenüber jedem Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt 
ist die Anrufung der staatlichen Verwaltungsbehörden und, gegebenenfalls der Gerichte, ge- 
stattet (vorbez. G. Art. 1, 2; vgl. unten S. 300). 
2. Die Angehörigen der im Staatsgebiete vorhandenen oder neu aufkommenden Be- 
kenntnisse können sich in beliebiger Weise zusammenschließen. Es bedarf hierzu keiner staat- 
lichen Genehmigung, sondern lediglich einer Anzeige an das Kreisamt 28). Gegenüber allen 
kirchlichen Vereinigungen ohne Unterschied der Konfession und der Art des Zusammenschlusses 
(Uöffentlichrechtliche Korporation, privatrechtliche Korporation, Verein ohne Rechtspersönlich- 
keit 3) steht dem Staate nach allgemeinen Grundsätzen die volle Kirchenhoheit 
(die Gesamtheit der jura circa sacra) zu 8). Hierin ist namentlich die Befugnis enthalten, 
auf dem Wege der staatlichen Gesetzgebung die Grenzen festzustellen, innerhalb deren sich die 
kirchliche Freiheit zu bewegen hat 4). Innerhalb der ihnen verbliebenen Sphäre ordnen und 
verwalten die Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten (sacra 
interna) selbständig: hierher gehören ramentlich die Lehre und die Gottesdienstordnung, die 
reir kirchliche Gesetzgebung, und die Aufrechterhaltung der Kirchenordnung mit den staatlich 
zugelassenen, rein kirchlichen Mitteln (jus in sacra)ö). 
3. a) Das in der staatlichen Gebietsboheit enthaltene Oberaufsichtsrecht und Schutzrecht 
des Staates gegenüber den Kirchen und Religionsgemeinschaften macht sich, abgesehen von 
dem Vorgesagten, namentlich in bezug auf folgende Angelegenheiten geltend: 
□a) Soweit der Staat die Verhältnisse der Kirchen nicht selbst regelt — wobei in der 
Regel die inneren Angelegenheiten (sacra interna) als „gesetzesfreies“ Gebiet gelten —, wahrt 
sich der Staat den erforderlichen Einfluß auf die von der Kirche ausgehenden Gesetzgebungs- 
  
1) BVgl. Biermann, Die öffentl. Sachen, Gießen 1905. 
2) Vglgl. Schmidt S. 130 f. — In dieser Bestimmung liegt im Gegensatz zu dem früheren 
Rechtszustand (HV. Art. 40; VO. v. 30. I. 1830 u. 1. III. 1853) kein eigentliches Placet im 
engeren kirchenstaatsrechtlichen Sinn; denn es ist, wie Gareis (S. 85) unter Berufung auf 
Hinschius (Hdb. B. I, I, § 10 S. 343) richtig hervorhebt, weder die Verkündigung noch die 
innerkirchliche Wirkung der Verordnung an die vorgängige Staatsgenehmigung geknüpft. 
2a) Zum Erwerb der Korporationsrechte genügt Eintrag im Vereinsregister (vgl. EG. z. BG. 
Art. 84); so Aull i. Hess. Rspr. XII, S. 354; Polf XIII, S. 12; a. A. Friedrich XII, S. 324. 
3) Val. Stutz S. 914. 1 
4) Vgl. die Motive zu dem Gesetz, die rechtliche Stellung der Kirchen usw. betr., v. 23. IV. 
1875; A. Schmidt S. 126ff. — Bezüglich des Inhalts des staatlichen Aufsichtsrechts s. Stutz 
S. 915 u. die Motive zu dem Gesetz, betr. die Vorbildg. u. Anstellg. d. Geistlichen, v. 23. IV. 1875; 
A. Schmidt S. 139f. 
5) Vgl. Art. 4 des vorbez. Gesetzes u. Stutz S. 914; s. auch Art. 6 des G., den Mißbrauch 
der geistl. Amtsgewalt betr., v. 23. IV. 1875; A. Schmidt S. 131 und namentlich Edikt, die 
Verf. d. ev. K. usw. betr., v. 6. I. 1874 §/6 1—4.
	        
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