Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 117 Das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften. 301 
  
dies zur Erhaltung der Lehrkräfte dieser Anstalten in ihrer damaligen Zahl erforderlich erscheint 
(Art. 2 d. G. v. 1875). Den ausschließlich der Krankenpflege gewidmeten Orden usw. kann 
neben der Mitgliederaufnahme auch die Errichtung neuer Anstalten gestattet werden, sofern 
die vorhandenen bürgerlichen Einrichtungen dem Bedürfnisse des Krankendienstes nicht ge- 
nügen (Art. 3 d. G. v. 1875). Unter den gleichen Voraussetzungen kann auch solchen Orden 
usw. der genannten Art, welche an dem 1. Oktober 1874 noch keine Niederlassungen in H. 
hatten, die Errichtung von Niederlassungen vom M. d. Inn. gestattet werden (Art. 3, Zusatz 
v. 1895). Endlich kann weiblichen Genossenschaften, welche sich ausschließlich der Kranken- 
pflege widmen, als Nebentätigkeit die Pflege und Unterweisung von noch nicht schulpflichtigen 
Kindern erlaubt werden (Art. 3, Zusatz v. 1895). Alle Niederlassungen und Anstalten von 
Orden oder ordensähnlichen Kongregationen stehen unter Staatsaussicht und können aus Grün- 
den des öffentlichen Wohls oder wegen Ungehorsams gegen die gesetzmäßigen staatlichen 
Rechtsvorschriften und Anordnungen durch Beschluß des Gesamtministeriums aufgelöst und 
geschlossen werden (Art. 4 des alten und des neuen G.). 
e) Kirchliches Besteuerungsrechtt. Die beiden christlichen Kirchen und 
die mit Korporationsrecht versehenen Religionsgemeinschaften sind unter den gesetzlichen 
Voraussetzungen befugt, bei Insuffizienz der Erträgnisse des eigenen Vermögens und der 
sonst zu Gebote stehenden Mittel, die zur Bestreitung der kirchlichen oder religiösen Bedürfnisse 
erforderlichen Mittel durch Umlagen auf ihre Mitglieder aufzubringen. Die Umlagenerhebung 
von seiten einer einzelnen Religionsgemeinde setzt voraus c#) das Vorhandensein eines 
ordnungsmäßigen Voranschlags, §) Zustimmung der (mindestens zwölfgliedrigen) 2) Kirchen- 
gemeindevertretung, y) Nichtvorliegen eines Einwandes des Vorstandes der politischen Ge- 
meinde, o0) kreisamtliche Genehmigung. Ahnliches gilt für die Aufbringung der auf mehrere 
Kirchengemeinden zu verteilenden Bedürfnisse eines größeren kirchlichen Verbandes 
(Dekanatsverbandes u. dgl.). Die Umlageerhebung für die Gesamtheiteiner Kirche 
oder einer aus verschiedenen einzelnen Gemeinden bestehenden Religionsgemeinschaft 
ist nur zulässig mit Zustimmung der ordnungsgemäß eingerichteten Gesamtvertretung der be- 
treffenden Korporation und mit Genehmigung des Ministeriums des Innern. Die hiernach 
zulässigen Umlagen sind als Zuschläge zu den direkten Staatssteuern auf die Mitglieder der 
betr. Kirchen= oder Religionsgemeinden auszuschlagen und mit den Staatssteuern zu erheben. 
1) Austritt aus der Kirches). Dem verfassungsmäßigen Grundsatze der 
Religions- und Gewissensfreiheit entsprechend ist der Austritt aus einer bestehenden Kirche 
oder Religionsgesellschaft mit oder ohne gleichzeitigen Ubertritt zu einer anderen nach staat- 
lichem Rechte jederzeit gestattet. Der Austritt hat jedoch nur dann bürgerliche Wirkungen, 
wenn er unter Beobachtung der gesetzlichen Formen stattgefunden hat. Diese Formen sind 
verschieden, je nachdem es sich um Austritt in Verbindung mit gleichzeitigem Ubertritt oder 
um jenen allein (sog. „Austritt ins Freie") #) handelt (Art. 1). Ersterenfalls genügt, vorbehaltlich 
der Fortdauer der Kirchensteuerpflicht, mit Rücksicht auf das bestehende kirchliche Herkommen 
die Teilnahme an den Sakramenten in der neu gewählten Religionsgesellschaft 5). Im zweiten 
1) Gesetz, das Besteuerungsrecht der Kirchen= und Religionsgemeinschaften betreffend, 
vom 23. April 1875, RBl. S. 262, i. d. F. v. 30. III. 1901 Rl. S. 302, vgl. auch M. v. 
30. I. 1900; Schmidt S. 143; Reidel S. 198, 236, 247. 
2) Vgl. Schmidt, Quellen S. 49 A. 1. 
3) Gesetz, die bürgerlichen Wirkungen des Austritts aus einer Kirche oder Religionsgemein- 
schaft betreffend, vom 10. September 1878, RBl. S. 113; Schmidt, Austritt S. 337; Quellen 
Erg Bd. S. 23 (vgl. auch die dortigen Literaturangaben); Reidel S. 214. Die Grundsätze dieses 
Gesetzes gelten für den Austritt aus den beiden christlichen Kirchen, aus den mit Korporations- 
recht begabten Religionsgemeinschaften und aus dem Judentum aus solchem, dagegen nicht 
für den Austritt aus einer israelitischen Religionsgemeinde ohne gleichzeitigen Austritt aus dem 
Judentum (Art. 6 u. 5; vgl. auch Schmidt, Erg Bd. S. 26 A. 2). Für letzteren Fall ist das 
Ges. v. 10. Sept. 1878, betr. den Austritt aus den israelitischen Religionsgemeinden, maßgebend 
(vgl. unten S. 304). Bezüglich des Austritts aus einer nicht korporativen Religionsgemeinschaft 
sind deren Satzungen und die allgemeinen bürgerlichen Gesetze über Vereine (Gesellschaften) bzw. 
Genossenschaften maßgebend (Art. 7). 
.. 4) Weber i. Z. f. St. u. GV. 20 S. 160f. 
5) Vgl. Cosack S. 141ff.
	        
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