8 117 Das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften. 303
Die Kirchengemeinden bestehen aus der Gesamtheit der evangelischen Einwohner eines
Orts oder eines bestimmten Bezirks, welche zur Erreichung ihrer kirchlichen Zwecke vereinigt
sind und einen oder mehrere Geistliche und einen eigenen Kirchenvorstand besitzen (§ 5).
Jede Gemeinde hat ihre Angelegenheiten innerhalb der gesetzlichen Grenzen selbst zu verwalten;
sie übt ihre Befugnisse durch die Gemeindevertretung und den Kirchenvorstand
aus (§ 11). Die Gemeindevertretung besteht aus den Mitgliedern des Kirchenvorstands
und aus 12 bis 70 gewählten Mitgliedern (§§ 12—31), der Kirchenvorstand aus dem oder
den Geistlichen der Gemeinde, aus deren Stellvertretern und aus 4 bis 12 gewählten Mit-
gliedern (Kirchenvorstehern [fö# 32—54|]). Ausnahmsweise kann auf Anordnung des Ober-
konsistoriums eine Gemeindeversammlung berufen werden.
Die evangelischen militär-kirchlichen Verhältnisse haben durch eine Vereinbarung zwischen
der hessischen und der preußischen Regienung vom 8. Februar 1906 auf der Grundlage der
preußischen „Evangelischen militär-kirchlichen Dienstordnung“ vom 17. Oktober 1902 eine
besondere Regelung erfahren 1).
III. Die Verfassung der katholischen Kirche. Die Grundlage der
Organisation der katholischen Kirche in Hessen bildet die in ihrem organisatorischen Teile vom
Staate ausdrücklich anerkannte päpstliche Bulle Providasollersque“ v. 16. August
1821 2). Hessen ist hiernach ein Bestandteil der damals neu geschaffenen „Oberrheinischen
Kirchenprovinz“, und bildet ein eigenes Suffraganbistum mit dem Sitze in Mainz. Der
Bischof von Mainz, dessen Diözesansprengel das gesamte Großherzogtum umfaßt 3),
ist das oberste territoriale Organ der katholischen Kirche in Hessen; als geistlicher Beirat dient
ihm das zugleich mit dem Rechte der Bischofswahl betraute Domkapitel)), als oberste
Verwaltungsbehörde das Ordinariat“). Zum Zppecke der Beschlußfassung über die
Erhebung und Verwendung von Kirchensteuern besteht außerdem eine nach dem Vorbilde
der lokalen Kirchenvorstände gebildete Vertretung des Laienstandes unter dem Namen
„Diözesankirchenvorstand"?). Die Vorbereitung der Beschlüsse dieses Organs
obliegt einerbischöflichen Kommission, welche aus 3 Mitgliedern des Ordinariats,
3 Dekanen und 3 Laien — alle vom Bischof ernannt — besteht.
Die gesamte Diözese ist mit staatlicher Genehmigung in 19 Dekanate eingeteilt?),
welche je eine Anzahl von Pfarreienbzw. Pfarrkuratien umfassen. Die Übertragung
der Kirchenämter erfolgt unter den oben erwähnten Voraussetzungen durch den Bischof 8).
Die Pfarrer sind keine Staatsbeamten. Zur Unterstützung der Geistlichen bei der Führung
der äußeren Kirchenaufsicht und namentlich bei der Verwaltung des Kirchenvermögens sind
nach staatlicher Anordnung in jeder Kirchengemeinde, welche einen eigenen Gottesdienst hat
oder eigenes Kirchenvermögen besitzt, Tirchen vorstände zu bilden ?). Diesen gehören
als ständige Mitglieder der Geistliche, der Bürgermeister oder der Beigeordnete der be-
treffenden Gemeinde bzw. ein vom Kreisrate hierzu bestimmtes Gemeinderatsmitglied katho-
lischer Konfession an; hierzu treten 3 bis 5 gewählte unständige Mitglieder 10).
1) NBl. S. 99
2) Verkündigung der- päpstlichen Bullen zur Errichtung des Landesbistums Mainz vom
12. Oktober 1829, RBl. S. 443; Schmidt, Quellen S. 3 ff., 344 f.; Reidel S. öff.
3) Bgl. Schmidt S. 10°A. 1.
4) Sczügich der Bischofswahl und des landesherrlichen Streichungsrechts s. die staatlich
anerkannte Bulle „Ad Dominici Gregis custodiam“ vom 11. April 1827 (RBl.
S. 829 S. 443 ff.) und die eingehenden Literaturangaben bei Schmidt S. 24, 28f.
5) Bezüglich der geschichtlichen Entwicklung vgl. Usinger, Das Bistum Mainz unter
französischer Herrschaft (1798—1814), Mainz 1911, Gießener Diss.
6) Siehe MBek. v. 16. Oktober 1899, RBl. S. 878; Reidel S. 229.
7) Mek. v. 11. Juni 1894, RBl. S. 247; Reidel S. 223.
b 8) Siche G., die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen betr., vom 5. Juli 1887, und
oben S.
9) Edikt, die Sxganisation“ der Kirchenvorstände evangelischer und katholischer Konfession
betr., vom 9. Juni 1832, RBl. S 40 — Das Edikt gilt nur noch für die katholische Kirche; siehe
Schmidt S. 49; Reidel S
. O Beznglich de der Erhöhung Wicke: Zahl zum Zweck der Beschlußfassung über Kirchensteuern
vgl. Schmidt S.