808 Anhang: Verfassungsurkunde des Großherzogtums Hessen. Art. 22—88
Art. 221. Jedem Einwobner des Großherzogthums wird der Genuß vollkommener Ge-
wissensfreiheit zugesichert. Der Vorwand der Gewissensfreiheit darf jedoch nie ein Mittel
werden, um sich irgend einer, nach den Gesetzen obliegenden Verbindlichkeit zu entziehen.
Art. W2. Die Freyheit der Person und des Eigenthums ist in dem Großherzogthume
keiner Beschränkung unterworfen, als welche Recht und Gesetz bestimmen.
Art. 24. Jedem Hessen steht das Recht der freyen Auswanderung, nach den Be-
stimmungen des Gesetzes, zu.
Art. 25. Die Leibeigenschaft bleibt, nach den deßfalls bestehenden Gesetzen, für immer
aufgehoben.
n Art 26. Ungemessene Frohnden können nie Statt finden und die gemessenen sind
ablösbar.
Art. 27. Das Eigenthum kann für öffentliche Zwecke nur gegen vorgängige Ent-
schädigung, nach dem Gesetze, in Anspruch genommen werden.
Art. 28. In ausserordentlichen Nothfällen ist jeder Hesse zur Vertheidigung des Vater-
landes verpflichtet und kann für diesen Zweck zu den Waffen gerufen werden.
Art. 20. Jeder Hesse, für welchen keine verfassungsmäßige Ausnahme bestehet, ist ver-
pflichtet, an der ordentlichen Kriegs-Dienstpflicht Autheil zu nehmen. Bei dem Aufrufe zur
Erfüllung dieser Verbindlichkeit entscheidet unter den gleich Verpflichteten das Loos, mit Ge-
stattung der Stellvertretung.
Art. 80. Alle Hessen sind zu gleichen staatsbürgerlichen Verbindlichkeiten und zu gleicher
Theilnahme an den Staatslasten verpflichtet, in so ferne sie nicht eine verfassungsmäßige
Ausnahme für sich in Anspruch zu nehmen haben.
Art. 31. Niemand soll seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
Art. 32. Das Materielle der Justitz-Ertheilung und das gerichtliche Verfahren, inner-
halb der Gränzen seiner gesetzlichen Form und Wirksamkeit, sind von dem Einflusse der
Regierung unabhängig-
Art. 338. Kein Hesse darf anders, als in den durch das Recht und die Gesetze be-
stimmten Fällen und Formen, verhaftet, oder bestraft werden.
Keiner darf länger, als 48 Stunden, über den Grund seiner Verhaftung in Ungewißheit
gelassen werden und dem ordentlichen Richter soll, wenn die Verhaftung von einer anderen
Behörde geschehen ist, in möglichst kurzer Frist von dieser Verhaftung die erforderliche Nach-
richt gegeben werden.
Art. 34. Die Richter können nur durch gerichtliches Erkenntniß entsetzt, sie können
auch nicht wider ihren Willen entlassen und nur dergestalt versetzt werden, daß sie in der-
selben Dienst-Kategorie verbleiben und weder im Gehalte, noch in dem Dienstgrade zurück-
gesetzt werden.
Die Directoren der Justitz-Collegien bleiben jedoch den allgemeinen Bestimmungen der
Dienst-Pragmatik unterworfen.
Art. 35). Die Presse und der Buchhandel sind in dem Großherzogthume frey, jedoch
unter Befolgung der gegen den Mißbrauch bestehenden, oder künftig erfolgenden Gesetze.
Art. 36. Jedem steht die Wahl setnes Berufes und Gewerbs, nach eigener Neigung,
frey. Unter Beobachtung der hinsichtlich der Vorbereitung zum Staatsdienste bestehenden
Gesetze, ist es jedem überlassen, sich für seine Bestimmung im Inlande, oder Auslande, aus-
zubilden.
Titel IV.
Von den besonderen Rechten des Adels.
Art. 371). Die Rechtsverhältnisse der Standesherren werden durch das darüber erlassene
Edict vom 17ten Februar 1820 bestimmt, welches einen Bestandtheil der Verfassung bildet.
Art. 38. Die besondere Rechtsverhältnisse des Adels genießen den Schutz der Verfassung.
MUnter dem Porwande der Religion dürkfen jedoch weder die Geseßze des Staats
oder der Sittlichhkeit übertreten, noch Andere in ihren politischen, bürgerlichen orer
religiösen Rechken beeinkrächtigt werden.
1) Vgl. die Anmerkungen zu Art. 15 und 21 H.
2) Bgl. hierzu das „zur Ausführung des Art. 35“ erlassene Gesetz, die Freiheit der Presse
betreffend, vom 16. März 1848 (NRl. S. 72), dessen Art. 1 lautet: „Pie HPresse ist frei. Die
Tenjur ist aufgehoben, und dark nie wieder eingeführt werden.“
3) Vgl. die die Rechtsver ältnisse der Standesherren regelnden Gesetze vom 7. August
1848 (RBl. S. 237) und vom 18. Juli 1858 (RBl. S. 329). Durch Art. 42 des letztgenannten
Gesetzes wurde das Edikt vom 17. Februar 1820, sowie das Gesen vom 7. August 1848, in-
soweit es mit “ enwärtigem Gesetz in Widerspruch steht“ außer Wirksamkeit gesetzt, und somit
auch Art. 37 H. tatsächlich, wenn auch nicht formell, abgeändert.