Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

816 Anhang: Verfassungsurkunde des Großherzogtums Hessen. Art. 68—75 
  
  
werden zur Bewirkung der dem Staate auf Grund des Staatsvertrags zwischen Hessen und 
Preußen über die gemeinschaftliche Verwaltung des beiderseitigen Eisenbahnbesitzes vom 
23. Juni 1896 sowie etwaiger späterer Zusätze zu demselben obliegenden Leistungen sowie 
überhaupt zur Erfüllung rechtlich begründeter Verpflichtungen der Staatskasse oder zur 
Durchführung gesetzlich beschlossener Maßregeln oder zur Deckung von Fehlbeträgen der 
Verwaltung. 
Art. 68. Die Bewilligungen dürfen von keiner Kammer an die Bedingung der Er- 
füllung bestimmter Desiderien geknüpft werden. 
Beide Kammern sind jedoch befugt, nicht nur eine vollständige Ubersicht und Nachweisung 
der Staatsbedürfnisse, sondern auch eine genügende Auskunft über die Verwendung früher 
verwilligter Summen zu begebren. 
Art. 67. Die Auflagen, insoferne sie nicht bloß für einen vorübergehenden und bereits 
erreichten Zweck bestimmt waren, dürfen, nach Ablauf der Verwilligungszeit, noch sechs 
Monate forterhoben werden, wenn die Ständeversammlung aufgelößt wird, ehe ein neues 
Finanzgesetz zu Stande kommt, oder wenn die ständischen Berathungen sich verzögern. 
Diese sechs Monate werden jedoch in die neue Finanz-Periode eingerechnet. 
Art. 70. Die Civilliste kann während der Dauer der Regierung eines Großherzogs 
weder, ohne Seine Bewilligung, gemindert, noch, ohne Zustimmung der Stände, erhöhet werden. 
Art. 71. In außerordentlichen Fällen, wo drohende äußere Gefahren die Aufnahme 
von Capitalien dringend erfordern, die Einberufung der Stände aber, oder eine vorläufige 
Berathung mit denselben durch äußere Verhältnisse unmöglich gemacht wird, kann die Staats- 
regierung die erforderlichen Summen lehnbar aufnehmen, vorbehältlich der Nachweisung 
ihrer Verwendung und der Verantwortlichkeit der obersten Staatsbehörde. 
Art. 72. Ohne Zustimmung der Stände kann kein Gesetz, auch in Bezug auf das 
Landes-Polizey-Wesen gegeben, aufgehoben oder abgeändert werden. 
Wenn bei bestehenden Gesetzen die doctrinelle Auslegung nicht hinreicht, so tritt nicht 
authentische Auslegung, sondern die Nothwendigkeit einer neuen Bestimmung, durch einen 
Act der Gesetzgebung ein. 
Art. 730. Der Großherzog ist befugt, ohne ständische Mitwirkung, die zur Vollstreckung 
und Handhabung der Gesetze erforderlichen, so wie die aus dem Aufsichts- und Verwaltungs- 
recht ausfließenden Verordnungen und Anstalten zu treffen, und in dringenden Fällen das 
Nöthige zur Sicherheit des Staats vorzukehren. 
Art. 741). Dem Großherzoge steht die ausschließende Verfügung über das Militär, die 
Formation desselben, die Disciplinar-Gewalt und das Recht, alle, den Kriegsdienst betreffenden 
Verordnungen zu erlassen, ohne ständische Mitwirkung zu. 
Der erlassene und von dem Großherzoge hinsichtlich der Offiziere noch zu erlassende 
Militär. Straf-Codex soll jedoch, in so ferne er sich nicht auf die bezeichneten Gegenstände 
bezieht, ohne ständische Mitwirkung künftig keine Abänderung erleiden. 
Art. 75°). Wenn auch nur eine Kammer gegen einen Gesetzesvorschlag stimmt, so bleibt 
das Gesetz ausgesetzt. 
1) Art. 73 wurde eingeschränkt durch nachstehende, ausdrücklich als Bestandteil der Ver- 
sasungsurkunde erklärte Bestimmung des Gesetzes, Anordnungen zur Sicherheit des Staates in 
ringenden Fällen betreffend, vom 15. Juli 1862 (RBl. S. ), dessen Geltung durch Gesetz 
vom 3. April 1869 (RBl. S. 209) auf die neuerworbenen Gebietsteile ausgedehnt wurde: 
„Nrt. 1. Denn auf Grund der Schlußbestimmung des Hrt. 73 der Perfassungs- 
KNrkhunde, wonach der Grohherzog befugt ist, ohne Ktändische Witwirkung in dringenden 
Tällen das Böthige zur Sicherheit des Staates vormehren. eine berordnung, welche 
ihrer Batur nach in das Gebiet der Gesehgebung eingreift, erlassen wird, so soll dieselbe 
falls sie nach Hblauf eines TLahres noch für längere Zeit oder bleibend in Wirksamkeit 
erhalten werden soll, der alsdann gerade vereinigten Stände-Bersammlung oder wenn 
eine solche nicht anwesend ist, der nächsten Stände-Nersammlung zur Ertheilung ihrer 
Zuskimmung vorgelegt werden. v 
Erfolgt die Zustimmung, so bleibt die Perordnung bis zur ekwaigen Aufhebung oder 
AIAbänderung im Wege der Gesehgebung in Rraft. » 
WirdeinelolchevorlagevonbetdenKammernderskäsndeodeyauchnurvonEmpr 
derselben ab rlehub, so soll ie Perordnung sokort auher Wirksamkeil gesetzt werden.“ 
2) Vgl. hierher — abgesehen von den einschlägigen orschriften der Reichsverfassung — die 
den Großherzog in der Ausübung seiner Milltchohefrerechte wesentlich einschränkende Militär- 
konvention vom 13. Juni 1871 „Zl. S. 341, Bekanntmachung vom 25. September 1871). 
3) Art. 75 HV. hatte ursprünglich folgenden Wortlaut: 
Art. 75. „Wenn auch nur eine Kammer gegen einen Gesetzesvorschlag stimmt, so bleibt 
das Gesetz ausgesetzt. 
Wird aber ein solches Gesetz auf dem nächsten Landtage von der Regierung den Ständen
	        
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