Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

Art. 76—81 Anhang: Verfassungsurkunde des Großherzogtums Hessen. 317 
  
Wird aber ein solcher Gesetzesvorschlag der Regierung auf dem nächsten Landtage den 
Ständen durch die Regierung wieder vorgelegt und von einer Kammer wieder angenommen, 
von der anderen Kammer jedoch von neuem abgelehnt, so kann die Regierung verlangen, daß. 
in einer Versammlung der beiden Kammern unter dem Vorsitze des Präsidenten der Ersten 
Kammer über den Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt wird. Zur Annahme des- 
Gesetzesvorschlags bedarf es der einfachen Mehrheit der in der gemeinsamen Sitzung an- 
wesenden Mitglieder der beiden Kammern, wenn die Annahme des Gesetzesvorschlags mit 
zwei Drittel der Stimmen aller Mitglieder der annehmenden Kammer erfolgte; andernfalls 
sind zur Annahme des Gesetzes zwei Drittel der in der gemeinsamen Sitzung abgegebenen 
Stimmen erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten der- 
Zweiten Kammer. 
Art. 7610. [Gesetzes-Entwürfe können nur von dem Großherzoge an die Stände, nicht 
von den Ständen an den Großherzog gebracht werden. Die Stände können aber, im Wege- 
der Petition, auf neue Gesetze, so wie auf Abänderung oder Aufhebung der bestehenden 
antragen.) . 
Art. 77. Aushebungen zur Vermehrung der Truppen über die Bundespflicht hinaus- 
können nur durch ein Gesetz bestimmt werden, unbeschadet jedoch des Rechts der Staats- 
regierung, in dringenden Fällen die zur Sicherheit und Erhaltung des Staats nothwendigen 
Vorkehrungen zu treffen. 
Art. 78. Die gesammte Staatsschuld, welche ohne ständische Einwilligung nie vermehrt 
werden kann, ist als solche durch die Verfassung garantirt. Die Art und Weise ihrer Zurück- 
zahlung bestimmt das Schuldentilgungsgesetz. « 
Art.79.DieKammernhabendasRecht,demGroßherzogeallesdasjenigevorzutragem 
was fie, vermöge eines übereinstimmenden Beschlusses, für geeignet halten, um als eine ge- 
meinschaftliche Beschwerde, oder als ein gemeinschaftlicher Wunsch an Ihn gebracht zu werden. 
Art. 80. Insbesondere haben auch die ständischen Kammern die Befugniß, auf die in 
dem vorhergehenden Artikel bestimmte Art diejenigen Beschwerden an den Großherzog zu 
kringen: welche ste sich gegen das Benehmen der Staatsdiener aufzustellen bewogen finden 
önnten. 
Art. 817). (Einzelne und Corporationen können sich nur dann an die ständischen. 
Kammern wenden, wenn sie in Hinsicht ihrer individuellen Interessen sich auf eine un- 
rechtliche oder unbillige Art für verletzt oder gedrückt halten, und wenn sie zugleich nach- 
wieder vorgelegt und wieder von der einen Kammer abgelehnt, von der andern aber- 
angenommen, so werden, wenn die Regierung es nicht vorzieht, den Vorschlag zurüczunehmen, 
die Stimmen für und wider die Annahme in beiden Kammern zusammengezählt, und es wird, 
nach der sich dann ergebenden Stimmenmehrheit, für oder gegen die Annahme entschieden.“ 
Die heute geltende Fassung beruht auf dem zu Art. 67 #. allegierten Gesetze, die 
Abänderung der Art. 67 und 75 *r betreffend, vom 3. Juni 1911. 
1) Das Gesetz, die landstandische Geschäftsordnun betreffend, vom 17. Juni 1874 (RBl. 
S. 423) stellte im Gegensatz zu Art. 76 HV. in seinem Art. 19 folgenden Rechtsfatz auf: Art. 19. 
„Uedes Witglied der Stände hat das Recht, in der Rammer, zu welcher es gehörk, 
Wotionen über Gegenstände, welche zu dem Wirkungskreise der Kammern gehören, zu 
machen (Mrt. 90 der Perfallungsurhunde)“ (Mbl. 1). 
„Bu solchen Gegenständen gehören auch Gesehentwürfe, welche von wenigstens 
10 Mitglirdern in die Kammer eingebracht werden“ (Nbsl. 2). 
Gleichzeitig bestimmte es in Art. 59: 
„Bas Geseh vom 8. September 1856 die landständische Geschäfksordnung betr., 
sowie die Artikel 76, 85, 86, 88, 92, 93,8, 100 der Perfassungsurhunde vom 17. Dezember. 
1820 sind aufgehoben, soweik letztere im Widerspruch mit gegenwärtt em Gelsehe khen.“ 
Der zitierte Art. 19 steht zwar nur mit dem ersten Satze des Art. 76 HV. in aus- 
gesprochenem Widerspruch, jedoch hat mit diesem ersten Satze auch der mit ihm unmittelbar 
zusammenhängende zweite Satz des Art 76 seine Anwendbarkeit verloren. 
2) Das Gesetz, das Petitions= und Versammlungsrecht betreffend, vom 16. März 1848 (Nl. 
S. 72) enthält folgende Bestimmungen: 
Mrt. 1. Ver Mrt. 81 der Verfassungsurkunde ist hinsichtlich aller darin enthaltenen 
Beschränkungen des Hetitionsrechts aufgehoben. » 
Arf. 2. Das Recht der Persammlungen zur Berakung über allgemeine politische 
oder Privat-Unterelsen kann frei ausgeübt werden. Z 
Art. 3. Gegenwärtiges Grletz seßt unter den Garantien der Perfassungsurkunde. 
Hierdurch haben, wie ich in dem Aufsatze „Entstehung, rechtliche Natur und Umfang des 
Petitionsrechts nach blhschem Staatsrecht“, Laband-Fest cheift, B. II S. 363—441, nach- 
zuweifen versuchte, die Absätze 1 und 3 des Art. 81 # ihre Geltung verloren; ebenso hat dem- 
nach auch das auf Art. 81 Abs. 1 zu beziehende Wort solche“ in Abs. 2, Zeile 1, keine recht- 
liche Bedeutung mehr. ' -
	        
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