Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 13 Die Thronfolgeordnung. 23 
  
Sonderbestimmung des Art. 5 Abs. 2, der einen Übergang des Thrones auf das weibliche 
Geschlecht nur für einen bestimmten Einzelfall zuläßt. 
6. „Vermöge Abstammungausebenbürtiger, mit Bewilligung 
des Großherzogs geschlossener Ehe“. Die Bedingung der Ebenbürtig- 
keit gilt selbstverständlich für jeden zum Throne Berufenen, gleichgültig, ob die Thronfolge 
auf Verwandtschaft oder auf Erbverbrüderung beruht, oder ob der Thron auf das weibliche 
Geschlecht übergegangen ist. Die Voraussetzungen der Ebenbürtigkeit bestimmen sich in erster 
Linie nach dem Hausrechte des Großherzoglichen Hauses (in dem unter Ziff. 3 erörterten 
Sinne), subsidiär nach gemeinem deutschen Fürstenrecht. Für das Haus Hessen-Darmstadt 
fehlen hausrechtliche Bestimmungen über Ebenbürtigkeit. Nach gemeinem deutschen Fürsten- 
recht 1) gelten als ebenbürtig die Mitglieder der jetzt oder ehemals regierenden deutschen oder 
ausländischen Fürstenhäuser und die Mitglieder des deutschen hohen Adels, soweit sie von ihrem 
eigenen Hause als ebenbürtig anerkannt werden 2). 
Die Voraussetzung der „Bewilligung des Großherzogs“ kommt natürlich nur für die- 
jenigen Eheschließungen in Betracht, welche überhaupt der Kognition des Großherzogs als des 
Familienoberhauptes unterliegen, d. h. für die Ehen der Mitglieder der großherzoglichen Familie. 
7. „In Ermangelung eines durch Verwandtschaft oder Erb- 
verbrüderung zur Nachfolge berechtigten Prinzen geht die Re- 
gierung auf das weibliche Geschlecht über“'. 
Ebenso wie Art. 5 Abs. 1 dient auch der vorstehende zweite Absatz dieses Artikels nich t 
dazu, für die dort genannten Prinzen einen neuen Erbanspruch auf den hessischen Thron zu 
schaffen; er bezweckt vielmehr lediglich, die Reihenfolge der nach dem bisher geltenden Haus- 
recht zum Throne Berufenen deklaratorisch festzustellen und verfassungsmäßig anzuerkennen. 
Das Erbfolgerecht der „durch Verwandtschaft oder Erbverbrüderung zur Nachfolge berechtigten. 
Prinzen“ stützt sich nicht unmittelbar auf die Verfassungsurkunde, sondern auf die 
zeitlich weit zurückliegenden Akte der Hausgesetzgebung, durch welche die hier genannten 
Erbansprüche seinerzeit begründet wurden. 
Nur in einer einzigen Beziehung wird durch Art. 5 Abs. 2 ein neues Erbfolgerecht ge- 
schaffen, nämlich insofern, als durch ihn für den Fall des Fehlens verwandter oder erbver- 
brüderter Prinzen ein subsidiäres Erbfolgerecht des weeiblichen Geschlechts statuiert 
wird, während ein solches bisher, d. h. seit der Lehensauftragung und der nachfolgenden Erb- 
verbrüderung vom Jahre 1373, grundsätzlich ausgeschlossen war 3). 
Das Thronfolgerecht kann demnach nur auf zwei Gründen beruhen: entweder auf 
Verwandtschaft (s. c. mit dem letzten Großherzoge) — und zwar in erster Linie auf 
agnatischer, unter den in dritter Linie genannten Voraussetzungen aber auch auf 
kognatischer Verwandtschaft — oder auf Erbverbrüderung. 
8. Nach vorstehenden Regeln sind zum Throne berufen: 
A. zufolge agnatischer Verwandtschaft: die sukzessionsfähigen Agnaten des 
Hauses Hessen -Darmstadt, das sind die im Mannesstamm von Landgraf Georg I., 
dem jüngsten Sohne Philipps des Großmütigen, abstammenden Männer, und zwar gemäß 
den Bestimmungen der Hessen-Darmstädtischen Primogeniturordnung vom Jahre 1602 (1606)“) 
im Zusammenhalt mit HV. Art. 5 nach Erstgeburt und Linealfolge. 
B. zufolge Erbverbrüderung: 
a) die sukzessionsfähigen Agnaten der durch den Landgrafen Wilhelm, den ältesten 
Sohn Philipps des Großmütigen, begründeten, mit dem Hause Hessen-Darmstadt das „Ge- 
S * hierüber Rehm Hermann, Modernes Fürstenrecht, München 1904, namentlich 
2) Bezüglich der Frage der Ebenbürtigkeit s. namentlich Rehm, FR., und v. Dungern, 
Problem der Ebenbürtigkeit; Piloty, Das Recht der Ebenbürtigkeit zwischen hohem und 
niederem Adel in Deutschland und insbesondere in Bayern (o. J., erschienen 1910 nicht im 
Buchhandel). 
3) Bgl. Löning S. 84 Anm. 214. 
4) Vgl. Weiß S. 37 u. 214; Beck II S. 115; Schulze II S. 86.
	        
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