g 13 Die Thronfolgeordnung. 27
diese Ansprüche, soweit sie mit der Verfassung unvereinbar sind, hinfällig und bleiben in
formell gültiger Weise aufgehoben, mag auch die Art und Weise, wie sie aufgehoben worden,
billig oder unbillig erscheinen“. Wenn die Erbverbrüderungen durch den Hinweis in Art. 5
Abs. 2 und durch den Vorbehalt der näheren Regelung der Thronfolge im Wege des Haus-
gesetzes ausdrücklich als noch fortbestehend anerkannt werden, so kann hieraus nichts weiteres
gefolgert werden, als daß damit im Interesse der Erhaltung des hessischen Staates für alle
Zukunft die Gewähr einer geregelten Thronfolge für den Fall des Aussterbens des Hauses
Hessen-Darmstadt gegeben werden wollte. Die eventuelle Thronanwartschaft der erbver-
brüderten Prinzen ist durch Art. 5 HV. zu einem „verfassungsmäßigen“ Rechtsanspruch ge-
worden, das heißt, zu einem Rechtsanspruch, der mit allen Garantien, zugleich aber
auch mit allen Schranken eines verfassungsmäßigen Rechtes umgeben ist — die wichtigste
Grenze eines verfassungsmäßigen Rechtes aber ist: die Erhaltung des Staates. Gegen die
Möglichkeit einer Teilung des Staatsgebiets, unbeschadet der Fortdauer der bestehenden Erb-
verträge sprechen sich insbesondere aus: Pagenstecher S. 106 ff., Frhr. v. Stengel,
Preuß. StR. S. 43, Meyer-Anschütz S. 272, Bornhak in Hirths Annalen 1904
S. 415, Otto Mayer S. 57f. Vgl. auch meine Ausgabe der HV. S. 31 u. 38.
Die rechtliche Wirkung der hessisch-sächsischen Erbverträge beschränkt sich also seit der
HV. darauf, daß für den fernliegenden Fall des Aussterbens des hessischen Gesamthauses
feststeht, daß munmehr ein Mitglied des sächsischen Gesamthauses zum Throne berufen ist.
Wer dieses Mitglied ist, kann nur im Wege eines hessischen Verfassungsgesetzes entschieden
werden; ein solches Gesetz müßte sich naturgemäß auf eine Vereinbarung mit dem Gesamt-
hause Sachsen stützen, deren Voraussetzungen sich auf sächsischer Seite nach dem für das Ge-
samthaus Sachsen geltenden Recht bestimmen würden.
e) Die angeblichen Erbansprüche Brandenburgs, d. h. des Hauses Hohen-
zollern, können nicht als zu Recht bestehend anerkannt werden. Im Jahre 1457 wurde
allerdings zwischen den Fürsten Sachsens, Hessens und Brandenburgs1) eine später mehrfach
erneuerte Erbverbrüderung geschlossen. Dieser Vertrag erlangte jedoch mangels der erforder-
lichen kaiserlichen Bestätigung ebensowenig Rechtsgülrigkeit wie die brandenburgisch-hessisch-
sächsische Erbverbrüderung vom Jahre 1614, inhaltlich deren beim Aussterben des sächsischen
Fürstenhauses Brandenburg ½, Hessen , beim Aussterben des brandenburgischen Hauses
Hessen und Sachsen je ½, Hessen aber in jedem Falle die Kurwürde, endlich beim Aussterben
Hessens Brandenburg ½8, Sachsen ½ und beim Aussterben zweier Häuser das dritte Alles
erben solle. Die Gründe, welche in eingehender Beweisführung von Löning und im
wesentlichen auf diesen gestützt von Pagenstecher gegen die Rechtswirksamkeit der
vorgenannten Erbverbrüderung ins Feld geführt werden (Mangel der kaiserlichen Bestätigung
und Mangel des Konsenses der Kurfürsten), liefern den überzeugenden Beweis dafür, daß
diese Erbverbrüderung trotz einzelner verpflichtender Wirkungen für die Kontrahenten (siehe
Pagenstecher S. 103) niemals voll rechtsgültig war und infolgedessen auch mit der Reichs-
auflösung nicht konvaleszieren konnte 2). Aber selbst, wenn die fragliche Erbverbrüderung
als rechtswirksam erachtet werden sollte, so würde ihrer Verwirklichung, wie schon oben des
näheren ausgeführt wurde, der verfassungsmäßige Grundsatz der Unteilbarkeit Hessens ent-
1) Siehe Löning S. 27 ff.; Pagenstecher S. 91 ff.
2) A. M. Beseler, Erbverträge II S. 2; v. Lancicolle, Geschichte d. Bildung
d. preuß. Staates S. 634; Rönne- 8 orn, Preuß. Staatsrecht 1 S. —; Opitz, Staats-
recht des Königreichs Sachsen 1 S. 134; Gareis a. a. O. S. 57; Cosack a. a. O. S. II,
ebenso (seither) van Calker a. a. O. S. 38. Auch Rehm, FR., S. 49 ff., behandelt die
Erbverbrüderung mit Brandenburg als gültig. Die Fortdauer der Wirksamkeit der fraglichen
Erbverbrüderung wird bezweifelt von Bornhak, Preuß. StäK. I 178 ff.; Graßmann
i. Arch. f. öff. R. VI, S. 499; v. Stengel a. a. O. S. 43; Arndt, Komm. z. Preuß. VU.
zu Art. 53 A. 2; Schwartz, Komm. z. Preuß. V UU. S. 152; Anschütz, Enzyklopädie, S. 574,
während Meyer-Anschütz S. 272 zu der Frage keine Stellung nimmt. Otto Mayer,
S. 57, erklärt die Frage der ursprünglichen Gültigkeit jener Erbverbrüderung für gleichgültig,
da eine Erbverbrüderung, die auf eine Teilung des Landes hinauslaufe, mit der sächs. Verfassung
unvereinbar und daher, weil in einem sehr wesentlichen Punkte unwirksam, im ganzen hinfällig sei.