28 Die Organisation des Staates. Der Großherzog und das Großherzogliche Haus. 8 13
gegenstehen; die Regelung der Thronfolge könnte also in jedem Falle nur unter Zustimmung
der gesetzgebenden Faktoren in der Form eines verfassungsändernden Gesetzes erfolgen.
C. Eine Berufung zur Thronfolge auf Grund ko gnatischer Verwandtschaft
tritt gemäß Art. 5 HV. nur ein „in Ermangelung eines durch Verwandtschaft oder Erb-
verbrüderung zur Nachfolge berechtigten Prinzen“. Hierbei entscheidet „Nähe der Verwandt-
schaft" — Nähe nach Lineal-Gradualsystemu) — mit dem letzten Großherzoge, bei gleicher
Nähe das Alter. Nach dem Ubergange des Thrones gilt wiederum der Grundsatz der Primo-
genitur und Linealfolge, und zwar, zufolge ausdrücklicher Vorschrift des Art. 5 Abs. III, unter
Vorzug des Mannesstamms ?2).
II. Begriffliche Voraussetzung jedes Thronübergangs ist die Thronerledigung.
Diese kann sich, wenn wir von der außerhalb der Schranken des Rechts stehenden zwangs-
weisen Depossedierung eines Fürsten oder eines Fürstenhauses absehen, nur durch Tod oder
durch freiwilligen Rücktritt des Throninhabers ergeben 3). Die Thronfolge selbst
regelt sich nach der im vorstehenden geschilderten Thronfolgeordnung, deren Abänderung nur
im Wege der Verfassungsänderung — auf diesem Wege aber ohne weiteres, d. h. auch ohne
Mitwirkung der Agnaten") — erfolgen kann. Verzicht des Landesherrn oder des berufenen
Thronfolgers bewirkt grundsätzlich den Ubergang der Krone an den Nächstberufenen; es ist
demnach für die Frage der Thronfolge rechtlich bedeutungslos, ob der Verzicht ausdrücklich
zugunsten einer bestimmten Person oder ohne einen derartigen Hinweis erfolgt, ebenso, ob
er auf Zeit, auf Widerruf, bedingt oder unbedingt geschieht.
Der Thronfolger erlangt die landesherrliche Würde ipso jure in dem Augenblicke des
Wegfalles seines Vorgängers auf dem Throne; ausdrückliche Annahmeerklärung und urkund-
liche Zusicherung des Festhaltens an der Verfassung sind, wiewohl die Abgabe des letzteren
Versprechens eine verfassungsmäßige Pflicht des Regierungsnachfolgers ist (HV. Art. 106),
für den Thronübergang rechtlich ebensowenig relevant, wie Huldigungen und Verfassungseid
von seiten der Staatsangehörigen für den Beginn der Untertanenpflichten. Ein Inter-
regnumö5) tritt nur ein, wenn und solange unbestimmt ist, wer Thronfolger werden wird;
letzteres ist namentlich dann der Fall, wenn ein Nasciturus als Nächstberechtigter erscheint oder
wenn mangels rechtzeitiger gesetzlicher Regelung der Thronfolge im Augenblicke des Wegfalls
des letzten Landesherrn erst noch ein staatlicher Akt notwendig ist, durch welchen die Person
des Thronfolgers konstitutiv bestimmt wird 5).
1) Siehe Rehm, FR. S. 396f.
2) Uber die verschiedenen Systeme des Übergangs der Krone auf die Kognaten und ins-
besondere über die Begriffe „Erbtochter“ und „Regredienterbin“ vgl. Rehm, FR. S. 396 ff.
3) Cosack (S. 8) spricht ausschließlich vom Erwerb der Regierungsgewalt „durch Erbgang,
Dies ist insofern richtig, als auch im Falle des Thronverzichts das Recht der Thronfolge auf dem
Erbrecht des Thronfo gers beruht. Vgl. auch Binding, Das Thronfolgerecht der Kognaten
im Großherzogtum Luxemburg, S. 37 ff.; Triepel, Die Thronfolge im Fürstentum Lippe
usw., S. 107 ff. — Bezüglich der unbedingten Zulässigkeit des Thronverzichts — sowohl in der
Form der Abdankung wie in der Form der Ausschlagung der Krone — kann kein Zweifel be-
stehen. Vgl. v. Frisch, Der Thronverzicht, und hierzu Otto Mayer S. 63.
4) Dieser Grundsatz gilt unbedingt. Die von Cosack behauptete Ausnahme („anders nur,
wenn der eventuelle Thronfolger ein Ausländer ist, wie dies bei den Erbverbrüderungen tat-
sächlich der Fall; dieser braucht die Allmacht einer Gesetzgebung eines fremden Staates nicht
anzuerkennen") läßt sich rechtlich nicht begründen. Daß im Falle der Thronanwartschaft eines
Ausländers der Heimatstaat des Thronanwärters „völkerrechtlich“ befugt sein soll, seine Thron-
ansprüche gewaltsam oder, wenn es ein deutscher Staat ist, gemäß RV. Art. 76 durch Anrufung
des Bundesrats zur Geltung zu bringen“, macht die Agnaten nicht zu Faktoren der hessischen
Gesetzgebung. Ganz abgesehen davon, daß von einem „Recht“ zu Gewaltmaßnahmen über-
haupt nicht gesprochen werden kann, und daß ein Recht zur Anrufung des Bundesrats nur
dann besteht, wenn die Voraussetzungen des Art. 76 Abs. 1 oder II wirklich vorliegen, was in
dem geschilderten Fall durchaus nicht immer zutreffen wird. — Bezüglich des Ausschlusses der
Agnaten von der Legislative s. unten §&. 14.
5) Vgl. Triepel, Interregnum, Leipzig 1892.
6) So z. B. beim Aussterben des Gesamthauses Hessen. Vgl. Pa 7 enstecher S. 118f.
Die von Pagenstecher S. 119 unter Bezugnahme auf Weiß, Schulze, Rönne
u. a. vertretene Ansicht, daß in diesen beiden Fällen der Regierungsantritt des dann berufenen