Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 14 Die Regierungsrechte des Großherzogs. 29 
  
§ 14. Die Regierungsrechte des Großherzogs. Die rechtliche Stellung des Groß- 
herzogs als Regierungsorgan 1) wird im allgemeinen durch folgenden Satz des hessischen Staats- 
grundgesetzes (Art. 4) charakterisiert: „Der Großherzog ist das Oberhaupt des Staats, vereinigt 
in Sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den von Ihm gegebenen, in dieser 
Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus“ 2). Der Großherzog ist hiernach der ge- 
borene und präsumptive Trägers) aller derjenigen Rechte, welche in der Staatsgewalt ent- 
halten sind; er übt die Gesamtheit aller, dem Staate als juristischer Persönlichkeit zukommen- 
den, dem Landesherrn an und für sich begrifflich fremden Gewaltrechte „aus eigenem Rechte“ 
aus, ohne sich auf eine ausdrückliche Verleihung dieser staatlichen Zuständigkeiten berufen zu 
müssen"), und ohne von irgend jemand für seine Regierungsführung zur Verantwortung ge- 
zogen werden zu können. Hierbei ist der Großherzog in seiner Machtvollkommenheit nur 
insoweit beschränkt, als die Verfassung, spätere Gesetze oder anerkanntes Gewohnheitsrecht 
dies ausdrücklich aussprechen 5). 
Die Rechtsgültigkeit der Regierungsakte des Großherzogs ist weder durch die Verfassung 
noch durch spätere Gesetze ausdrücklich von einer ministeriellen Gegen zeichnung ab- 
hängig gemacht wordens). Die Mitwirkung eines kontrasignierenden Ministers bei der Vor- 
nahme von Regierungsakten erscheint indessen auf Grund Gewohnheitsrechts gleichwohl regel- 
mäßig als rechtlich notwendig. Die dem Erlaß des Ministerverantwortlichkeitsgesetzes vom 
5. Juli 1821 unmittelbar vorausgehende großherzogliche Verordnung über die Organisation 
der obersten Staatsbehörde vom 28. Mai 1821 (publ. 1. Juni 1821)7) behandelt die Gegen- 
zeichnung als etwas Selbstverständliches 8)9) und trägt damit stillschweigend den bei den lang- 
Großherzogs vom Augenblicke der früheren Thronerledigung an zu datieren sei, halte ich für 
willkürlich. Richtig ist, daß in beiden Fällen vorerst eine Regentschaft stattfindet (vol. nunmehr 
Regentschaftsgesetz Art. 1). 
1) Vgl. „Über die Stellung des Staatsoberhaupts im allgemeinen“ Meyer-Anschütz 
17 *r Anschütz, Staatsrecht S. 471 ff.; Jellinek, Allg. Staatslehre S. 512 ff. 
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2) In diesen Worten, welche sich in Anlehnung an den Art. 57 der Wiener Schlußakte 
(s. van Calker S. 32) nahezu gleichlautend in einer Reihe deutscher Verfassungsurkunden 
finden, verkörpert sich einerseits das monarchische Prinzip im Gegensatz zu dem 
Prinzip der Volkssouveränität (vgl. auch den Eingang der hess. Verfassungsurkunde „Ludewig 
von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen“ ufw. und hierzu Rehm, FHR. 
S. 7 ff.), andererseits das Prinzip der Vereinigung aller Gewalten in 
einer Hand im Gegensatz zu dem Prinzipe der Gewaltenteilung (vgl. Reehm, St. L. S. 252). 
3) Die Ausdrücke „Träger“ und „Subjekt“ sind hier in dem von Meyer-Anschütz 
S. 17 Anm. 6 entwickelten Sinne gebraucht. 
4) Vgl. Jellinek, St.L. S. 513 ff. 
5) Die Einschränkungen, welche die landesherrlichen Machtbefugnisse durch die Zugehörig- 
keit Hessens zum Reiche erfahren haben, sind, weil auf Reichsrecht beruhend, hier nicht zu er- 
örtern. Es handelt sich hierbei übrigens in der Hauptsache weniger um Beschränkungen des 
Landesherrn als solchen, als um Beschränkungen des Staates. 
6) Die Behauptung Geßners, Die Ministerverantwortlichkeit nach hess. Staatsrecht, 
Erlg. Diss., 1898, (S. 28), daß die Notwendigkeit der Gegenzeichnung aus H. Art. 4, „der die 
Unverantwortlichkeit des Monarchen proklamiert,“ folge, ist unbegründet. 
7) Arch. III S. 267 (im Rl. nicht abgedruckt). 
8) Vgl. aber dagegen Geßner S. 29 und L. 1 1820/1821 Heft 2 Beil. 56 S. 145. 
9) Auf dem gleichen Standpunkte wie die Verordnung von 1821 stand auch schon der erste 
Ausschußbericht der zweiten Kammer zum MVG. LV. II 1820, Prot. u. Beil Bd. 2. Beil. 106 
S. 11 ff. (Floret), wobei allerdings der Gedanke nicht der war, den Landesherrn zu be- 
schränken, sondern nur der, die Feststellung des verantwortlichen Ministers zu ermöglichen. Der 
Ausschußbericht verlangte übrigens die Kontrasignatur nur für die „die Staatsverwaltung be- 
treffenden Verordnungen“. — Ahnlich, wie der erste Ausschußbericht der zweiten Kammer, 
wünschte auch der Ausschußbericht der ersten Kammer (LV. 1 1820 Beil. 13 S. 45 [Arensl) zur 
Sicherung der Verantwortlichkeit noch einen ausdrücklichen gesetzlichen Ausspruch dahin, „daß 
die Vollziehbarkeit einer jeden, von dem Regenten ausgehenden Verfügung durch die Mit- 
wissenschaft und Kontrasignatur derjenigen höchsten Staatsbeamten bedingt sei, deren Geschäfts- 
kreis durch die in Frage stehende Verfügung berührt wird.“ Das Kontrasignum soll zwar nicht 
„zum Erkenntnismerkmal des verantwortlichen Subjekts dienen,“ jedoch sollte aus der Kontra- 
signatur „die Gewißheit hervorgehen, daß es nicht an einem verantwortlichen Subjekte fehle.“ 
(L V. 1 1820 Beil. 18 S. 76.) Demgegenüber betonte der Staatsminister Frhr. du Thil, daß 
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