32 Die Organisation des Staates. Der Großherzog und das Großherzogliche Haus. g 15
§ 15. Die Ehrenrechte des Großherzogs. Die persönlichen Ehren= oder
Majestätsrechte des Großherzogs bilden den äußeren Ausdruck und in der Hauptsache
zugleich eine notwendige Konsequenz seiner Organstellung im Staate.
1. Der Zusatz „Von Gottes Gnadens", mit welchem sich der Großherzog in der
Präambel zur Verfassungsurkunde, im Eingang von Landesgesetzen usw. bezeichnet, hat, wie
schon aus den Ausführungen auf S. 29 hewvorgeht, nur die Bedeutung einer durch die Aufnahme
in die Verfassungsurkunde von der Gesamtheit der gesetzgebenden Faktoren als richtig an-
erkannten Konstatierung, daß der Landesherr seine Stellung nicht vom Volke ableitet. 1)
2. Die in den süddeutschen Verfassungsurkunden übliche Bezeichnung der Person des
Landesherrn als „heilig und unverletzlich“ (Art. 4 Abs. 2) hat in ihrer ersten Hälfte
keinen positiven Rechtsinhalt. Die „Unverletzlichkeit“ des Großherzogs findet dagegen ihren
wirksamen Ausdruck einerseits in seiner kriminellen Unverfolgbarkeit?), zum anderen
in dem ihm durch das Reichsstrafgesetzbuch §§ 80, 81, 94, 95, 98, 99 zugebilligten erhöhten
Strafrechtsschutz und in seiner Eremption von der Zeugnisleistung
in Zivil- und Strafsachen 3), endlich in der schon oben (s. S. 29) besprochenen politischen
Unverantwortlichkeit"). Auf dem Gebiete des Zivilrechts ist der Groß-
herzog vorbehaltlich der durch Art. 57 EG. z. BGB. bedingten Besonderheiten materiell-
rechtlich in gleicher Weise verpflichtbar wie jede Privatperson; indessen nimmt er in formeller
Beziehung insbesondere in folgenden Richtungen eine Ausnahmestellung ein: a) In bürger-
lichen Rechtsstreitigkeiten, welche das Großherzogliche Privatvermögen oder die Zivilliste
betreffen, ist stets das Oberlandesgericht in Darmstadt zur Entscheidung berufen 5). b) Für
die in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem Gericht, einem Notar oder
einer anderen Behörde obliegenden Amtshandlungen ist, insoweit der Großherzog bei einer
Angelegenheit beteiligt ist, vorbehaltlich anderweitiger Anordnung des Großherzogs der Staats-
minister zuständig (vgl. Art. 9 a. a. O.). Das gleiche gilt bezüglich der Vornahme standes-
amtlicher Geschäfte für den Großherzog (vgl. Personenstandsgesetz § 72, Allerh. Verord. v.
14. März 1876 § 1). e) Das persönliche Erscheinen des Großherzogs an der Gerichtsstelle kann
nicht angeordnet werden; veranlaßten Falles bestimmt er selbst Zeit und Ort der betreffenden,
seine Anwesenheit erfordernden Amtshandlung. Zum Zeugnisse kann der Großherzog über-
haupt nicht aufgerufen werden (Art. 16, 18 des Gesetzes, den Gerichtsstand betr. i. d. F.
d. Bek. v. 31. März 1900 RBl. S. 275).
3. Der am 13. August 1806 von dem vormaligen Landgrafen Ludwig X. von Hessen
für sich und seine Nachfolger angenommene Großherzogliche Titel?) verleiht seinem Träger
nach Maßgabe des Aachener Protokolls vom 11. Okt. 18187) mit dem Prädikate „Königliche
Hoheit“ den Anspruch auf alle von der königlichen Würde abhängenden Rechte, Ehren und
Vorzüge, die sogenannten „honneurs royaux“, d. i. insbesondere die im höfischen und im
völkerrechtlichen Verkehr zum Ausdruck gelangende, rangliche Gleichstellung mit Königen.
Zugleich ist mit dem Besitze der Großherzoglichen Würde der Gebrauch gewisser Insignien
(Kroninsignien, Großherzogliches Wappen usw.), der Anspruch auf Hofhaltung u. a. ver-
knüpft. — Die vielfach s) hierher gerechnete Befugnis, Titel, Würden und Orden zu verleihen
und Standeserhöhungen vorzunehmen, ist meines Erachtens kein Ehrenrecht, sondern ein
1) Vgal. Rehm,, i. d. Festschrift f. d. Jurist. Fakultät in Gießen, 1907, S. 156 f.
2) Diese hat ihren Grund in der Tatsache, daß der Landesherr niemanden über sich hat,
der ihn richten könnte.
3) Gesetz, den Gerichtsstand usw. in Ansehung des Landesherrn usw. betr. i. d. F. v. 1. I.
1900 (RBl. S. 275) Art. 18.
4) Vgl. van Calker, S. 36 ff.
5) Siehe Gesetz, den Gerichtsstand usw. in Ansehung des Landesherrn usw. betr., i. d. F.
d. Bek. v. 31. III. 1900, RBl. S. 275, Art. 1. — Vgl. auch EG. zur RB PO., §5, wonach
bei Verfolgung vermögensrechtlicher Ansprüche Dritter gegen den Landesherrn die Zulasfigkeit
des Rechtsweges nicht von seiner eigenen Einwilligung abhängig gemacht werden darf.
6) Vgl. Patent v. 13. Aug. 1806, Archiv I, S. 3; M. v. 19. Aug. 1806, a. a. O. S.3, 18.
7) Siehe Fleischmann, Völkerrechtsquellen, S. 24.
8) Vgl. z. B. Meyer-Anschütz S. 246.