38 Die Organisation des Staates. Der Großherzog und das Großherzogliche Haus. g 18
Darmstadt abstammenden Agnaten und Kognaten, nebst deren ebenbürtigen Gemahlinnen
und Witwen 1). In dem hier in Frage stehenden engeren Sinne umfaßt der Ausdruck
dagegen nur die Gesamtheit der der Hausgewalt des Großherzogs unter-
worfenen Personen, das sind „die Agnaten, die ebenbürtigen Gemahlinnen des Groß-
herzogs und der Agnaten, endlich deren Witwen und Töchter so lange, bis sie mit Genehmigung
des Großherzogs eine ebenbürtige Ehe eingehen“ 2).
Die Hausgewalt (Familiengewalt) des Großherzogs äußert sich insbesondere in seiner
Befugnis zum Erlaß von Hausgesetzen für die landesherrliche Familie (nähere Regelung
fehlt) 3), in seinem Genehmigungsrecht bezüglich der Ehen der Mitglieder seines Hauses
(HV. Art. 5), in dem Erfordernisse seiner vorgängigen Zustimmung zur Einleitung eines ge-
richtlichen Verfahrens in Ehe= und Entmündigungssachen, welche ein Mitglied des Groß-
herzoglichen Hauses betreffen, sowie zur Einleitung eines strafgerichtlichen Verfahrens gegen
ein Mitglied dieses Hauses, endlich in den ihm zustehenden vormundschaftsgerichtlichen Be-
fugnissen (s. Gesetz, den Gerichtsstand usw. betr., vom 7. Juni 1879, i. d. F. der Bek. vom
31. März 1900, NBl. S. 275, Art. 3, 6 und 11)/).
2. Die Sonderrechte der Mitglieder des Großherzoglichen
Hauses. Die Mitglieder des Großherzoglichen Hauses sind — insoweit sie überhaupt
Staatsangehörige sind (vgl. hierüber Rehm, F#. S. 130 ff., 441) — den übrigen Staats-
angehörigen in privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Hinsicht im allgemeinen völlig gleich-
gestellt. Eine Ausnahmestellung nehmen sie nur insoweit ein, als ihnen eine solche nach Recht
und Gesetz (Gewohnheitsrecht und gesetztem Recht) ausdrücklich zuerkannt ist. Dies ist ins-
besondere in folgenden Richtungen der Fall:
a) Die Volljährigkeit tritt bei den Agnaten des Großherzoglichen Hauses schon
mit dem vollendeten 18. Lebensjahre ein 5).
b) Der persönliche Gerichtsstand der Mitglieder des Großherzoglichen Hauses
in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten jeder Art, ebenso ihr Gerichtsstand in Strafsachen und in
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist bei dem Oberlandesgericht Darmstadt;
bezüglich der formellen Voraussetzungen der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens vgl. das oben
S. 32 cit. Gesetz, den Gerichtsstand u. s. w. betr., in der vom 1. Jan. 1900 an geltenden F., RBl.
S. 275. — Im Falle einer strafgerichtlichen Verurteilung ist das Urteil dem Großherzog
behufs etwaiger Ausübung des Begnadigungsrechts vorzulegen (Art. 8 a. a. O.).
e) Die Mitglieder des Großherzoglichen Hauses sind von dem persönlichen Er-
scheinen vor Gericht entbunden. Handlungen, bei welchen ihre persönliche Anwesen-
heit erforderlich ist, sind in ihrer Wohnung vorzunehmen. Als Zeugen werden sie gegebenen-
falls durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts oder dessen Stellvertreter vernommen;
den Eid leisten sie mittels Unterschreibens der Eidesformel (Art. 16, 18 a. a. O.).
d) Die standesamtlichen Geschäfte versieht für die Mitglieder des Großherzog-
lichen Hauses der jeweilige Präsident des Gesamtministeriums in seiner Eigenschaft als Minister
des Großherzoglichen Hauses bzw. dessen Stellvertreter (Reichsgesetz, die Beurkundung des
Personenstandes usw. betr., vom 6. Februar 1875 §. 72; Allerh. V O., die Führung der standes-
amtlichen Geschäfte für das Großherzogliche Haus betr., vom 14. März 1876 F 1).
an. Die Richtigkeit dieser Unterscheidung erhellt auch aus HV. Art. 5, wo „das weibliche Ge-
schlecht“ offensichtlich als zum „Großherzoglichen Hause“ gehörig betrachtet wird. Bezüglich
der widersprechenden Auffassungen Zorns und Gierkes s. Rehm a. a. O. S. 97 ff.
1) Der Rechtsbegriff des „Gesamthauses Hessen“ (s. oben S. 22f.) kommt hier selbstverständlich
nicht in Betracht.
2) So Cosack S. 12, der den Begriff ausschließlich im engeren Sinne definiert.
3) Beispiel für eine hausgesetzliche Bestimmung s. RBl. 1844 S. 261.
12 eügli4h der in der Familiengewalt enthaltenen Rechte vgl. im übrigen Rehm, F.
125 ff.
5) Siehe Testament Ludwigs V. von 1625 5 13; vgl. auch Testament Ludwigs VI. von
1664 85 10 und 11. Ein kaiserliches Privileg, wonach die Volljährigkeit bereits „mit und in Er-
füllung des 18. Jahres“ eintritt, wurde zwar ausdrücklich nur für den Thronfolger erteilt, jedoch
wurde dieser Volljährigkeitstermin gewohnheitsrechtlich auch für die anderen Prinzen anerkannt.