64 Die Organisation des Staates. Die Staatsbehörden. g 28
fassungswidrig und strafbar handelnd erklärt, der, „in welcher Form und zu welchem Zweck
es auch geschehen mag, Akten, Aktenstücke, Ubersichten oder sonstige Notizen und Nachweisungen,
die seine Dienstgeschäfte betrefsen, an einzelne Mitglieder der Ständeversammlung abgibt oder
gelangen läßt"1), so war damit denn doch weit über das Ziel hinaus geschossen. Stellte diese
Anordnung doch den Landtagsabgeordneten als solchen im Verkehr mit den staatlichen Be-
hörden entschieden ungünstiger als jede beliebige Privatperson! Auf den entschiedenen Wider--
spruch der Zweiten Kammer wurde denn auch jene dienstliche Anweisung im Landtagsabschied
von 1830 dahin richtig gestellt, „daß nach Art. 96 der Verfassungsurkunde Mitteilungen und
Eröffnungen, welche die Dienstgeschäfte betreffen, an einzelne Mitglieder der Ständeversamm-
lung als solche, nur insofern gestattet seien, als Mitteilungen oder Eröffnungen der Art an
andere Privatpersonen, ohne strafbare Verletzung der Dienstpflicht, hätten geschehen können“ 2).
Drittes Kapitel.
Die Staalsbehörden.
A. Die Ministerien.
§ 28. Die geschichtliche Entwicklung der Ministerialorganisation. Der hessische
Staat entbehrte bis ins 19. Jahrhundert hinein einer einheitlichen zentralen Organisation 3). Dem
ganzen Staate gemeinsam waren nur das Geheimeratskolleg, das Oberappellations-
gericht, das Kriegskolleg, die Rentkammer, das Oberforstamt, die Steuerdeputation und die
Landesökonomiedeputation; im übrigen hatten die beiden Provinzen, in welche die alten
Lande zerfielen, jede ihre eigene Behördenorganisation, namentlich je ein Regierungs-
kolleg und ein Konsistorium. Die Regierungskollegien waren dem Geheimerats-
kolleg unterstellt.
Die Territorialveränderungen des Jahres 1803 führten zu einer eingreifenden, in zwei
Organisationsedikten vom 12. Oktober 1803 zum Ausdruck gelangten Reform: Die „oberen“
oder „Dikasterialbehörden“, welche die Landesverwaltung zu führen haben, zerfallen hiernach
in solche, deren Geschäftskreis das ganze Land umfaßt (nach dem heutigen Sprachgebrauch
„Zentralbehörden"“) und in solche, deren Zuständigkeit sich nur auf eine einzige der nunmehr
drei Provinzen erstreckt. Zu der ersteren Gruppe gehören vornehmlich das Ministe-
rium (das bisherige Geheimeratskolleg), das Oberappellationsgericht und das Kriegskolleg.
Das Ministerium bildete fortan „unter der unmittelbaren höchsten Direktion des Landes-
herrn“ den „Zentralpunkt der ganzen Staatsverwaltung"“. Es zerfiel in die drei De-
partements „der auswärtigen Verhältnisse“, des Innern und der Finanzen, und war
verbunden mit der „Generalkasse“ (zur Verwaltung der Staatseinnahmen und ausgaben)
und der „Oberrechnungssustifikatur"“. Zu den Behörden, deren Wirkungskreis sich auf das
ganze Staatsgebiet erstreckte, traten später namentlich noch die Oberpostdirektion und das
Oberbaukolleg.
Der Übergang zum konstitutionellen System hatte eine neue Reorganisation der Be-
hördenverfassung zur Folge. Durch Edikt vom 28. Mai 1821 (RBl. S. 179) wurden an Stelle
des bisherigen einheitlichen, wenn auch in verschiedene Departements eingeteilten Ministe-
riums drei vollkommen selbständige Ministerien, nänlich das des
1) Siehe van Calker, VG., S. 149 Anm. 3.
2) Vgl. die Beratungen über jenes Publikandum LV. II 1829/30 Prot. B. 1 u. 4, Beil. B. 1
(s. Register) und Landtagsabschied vom 1. XI. 1830 RBl. S. 377 §.40. — Über die wichtige Be-
deutung des inzwischen durch den beinahe gleichlautenden Art. 53 GO. ersetzten Art. 96 Abs. 1
HV. s. L V. II 1821 B. 2 Beil. 268 S. 32 (Ausschußbericht Floret) und Floret, Histor.-krit.
* der Verhandlungen der Ständeversammlung des Großherzogtums Hessen, Gießen 1822
S. 214 ff.
3) Bezüglich der älteren Geschichte der hessischen Behördenorganisation s. Zentgraf, Otto,
Das Zuständigkeitswesen und der Zuständigkeitsstreit in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt
(1567—1803), Gießener Diss., Darmstadt 1909; bezüglich der neueren s. Eigenbrodt,,
Handbuch usw. u. van Calker im Jahrb. d. öff. R. B. II (1908) S. 125—131, und die dort
angegebene Literatur.