Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

66 Die Organisation des Staates. Die Staatsbehörden. g 30 
  
Bei allen Abstimmungen innerhalb des Gesamtministeriums gibt bei Stimmengleichheit 
die Stimme des Präsidenten den Ausschlag (VO. v. 13. August 1874 8 5). Wenn sich jedoch 
die Inhaber der entscheidenden Stimmen bei der Beschlußfassung nicht einigen können, so 
steht es jedem derselben frei, auf die Entscheidung des Großherzogs „zu provozieren“ (VO. 
v. 15. März 1879 § 6), d. h. es kann kein Ministerialvorstand durch Majoritätsbeschluß zu 
irgendeinem Tun oder Lassen gezwungen werden 1). Selbstverständlich ist auch der Groß- 
herzog nach allgemein anerkannten konstitutionellen Grundsätzen rechtlich nicht imstande, 
einem divergierenden Minister die Meinung der Majorität — oder gegebenenfalls die der 
Minorität — aufzuzwingen. Je nach der Entscheidung des Großherzogs werden sich der oder 
die von der Auffassung des Großherzogs oder von der Meinung der Majorität abweichenden 
Minister darüber zu entscheiden haben, ob sie für das, was hiernach zu geschehen habe, die 
Verantwortung übernehmen oder aber, ob sie den Abschied nehmen wollen 2). Die Ausführung 
der Beschlüsse des Staatsministeriums obliegt je nach dem Gegenstand entweder dem Staats- 
minister oder dem zuständigen Ressortminister (§ 8 a. a. O.). 
Der Geschäftskreis des Staatsministeriums umfaßt alle diejenigen 
Angelegenheiten, welche von größerer, allgemeiner, grundsätzlicher Wichtigkeit für den ganzen 
Staat sind; hierher gehören besonders: 1. die Beziehungen Hessens zum Reich, soweit sie für 
die Staatsverwaltung im ganzen von Interesse sind; 2. die Auslegung und Anwendung 
zweifelhafter Verfassungsbestimmungen; 3. die Wahlen zum Reichstag und zum Landtag, 
sowie die Wahrnehmung der sonstigen, der Regierung im Verhältnis zum Landtag obliegenden 
Funktionen, wie Feststellung der Regierungsvorlagen, Beantwortung von Interpellationen 
usw.; 4. Feststellung der Form und des Inhaltes der landesherrlichen Verordnungen; 5. die 
Verhältnisse des Staatsdienstes und der Staatsdiener im allgemeinen; 6. die Anstellung und 
Entlassung der Staatsbeamten von Kollegialrats= oder höherem Rang, sowie der Hochschul- 
professoren und der Richter; 7. das Verhältnis des Staats zu den Kirchen und Religionsgemein- 
schaften; 8. Preß- und Vereinswesen; 9. bestimmte Eisenbahnangelegenheiten usw., endlich auch 
Gegenstände eines einzelnen Ressorts, deren Beratung im Staatsministerium von dem 
betreffenden Ministerialvorstande oder von dem Staatsminister gewünscht wird (§ 4 a. a. O.). 
II. Zum unmittelbaren Geschäftskreis des Staatsministers gehören 
abgesehen von der Erhaltung der Hoheitsgrenzen und einigen speziellen Verwaltungsangelegen- 
heiten, insbesondere die Angelegenheiten des Großherzoglichen Hauses, die Korrespondenzen 
mit den in und von Hessen beglaubigten diplomatischen Personen, sowie mit den obersten 
Reichsbehörden, den Reichsgesandtschaften und Konsulaten. Ferner sind alle allgemeinen 
Anordnungen zur Ausführung oder Anwendung von Gesetzen oder Verordnungen (Aus- 
schreiben) und alle Anträge auf Anstellung usw. von akademisch gebildeten Beamten, soweit 
hierfür nicht das Staatsministerium zuständig ist, dem Staatsminister zur Kenntnisnahme 
und Billigung vorzulegen (§ 5 a. a. O.). Im übrigen ist der Staatsminister in seiner Eigen- 
schaft als Ministerpräsident nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen dazu berufen, 
für die Einheitlichkeit der gesammten Regierungsführung Sorge zu tragen. Hierzu steht ihm 
jedoch, da er nur primus inter pares ist, gegenüber den Vorständen der Einzelministerien 
keinerlei Befehlsgewalt zur Verfügung. Bezüglich der Stellvertretung des Staats- 
ministers siehe 8 30. 
§ 30. Die Einzelministerien und die Ministerialabteilungen. I. Die Einzel- 
ministerien bestehen aus je einem Ministerialvorstand mit dem Titel eines Ministerial- 
präsidenten oder eines Ministers und der erforderlichen Zahl von Hilfsbeamten — Ministerial- 
räten, Oberregierungsräten usw. und dem entsprechenden Kanzleipersonal. Aus der Zahl 
der Ministerialräte werden je nach Bedürfnis einzelne zu Geheimen Staatsräten 
  
1) Die Bestimmung der VO. v. 1874 über den Stimmentscheid des Präsidenten ist zwar in der 
VO. v. 1879 nicht mehr wiederholt, ist aber wohl nach allgemeinen Grundsätzen der Geschäftsordnung 
selbstverständlich, wenn auch im Hinblick auf das Untengesagte rechtlich ziemlich bedeutungslos. 
2) Insoweit pflichte ich Cosack S. 31 bei, dessen Bemerkung sub Abs. 1 Ziff. 3 indessen 
nur eine von me mehreren Möglichkeiten trifft. Vgl. auch die zutreffenden Ausführungen Essel- 
orns Di
	        
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