78 Die Organisation des Staates. Die Staatsbehörden. g 34
D. Die Organisation der Justiz.
8 34. J. Die Justizverwaltung. Die Leitung der gesamten Justiz-
verwaltung, die Oberaufsicht über die Verwaltung der Rechtspflege und die Dienst-
aufsicht über sämtliche Gerichte und Staatsanwaltschaften ist Sache des Ministeriums der
Justiz 1). In Unterordnung unter dieses Ministerium steht das Recht der Aufsicht zu: 1. dem
Präsidenten des Oberlandesgerichts hiunsichtlich dieses Gerichts und hin-
sichtlich aller übrigen Gerichte des Landes; 2. den Präsidenten der Landgerichte
jeweils hinsichtlich des von ihnen geleiteten Landgerichts und hinsichtlich der übrigen Gerichte
ihres Landgerichtsbezirks; 3. dem Generalstaatsanwalt und den Oberstaats-
anwälten hiunsichtlich der Staatsanwaltschaften ihres Bezirks sowie hinsichtlich der Straf-
anstalten 2). — Das Recht der Aufsicht erstreckt sich auf alle, bei den sub. Ziff. 1—3 bezeich-
neten Behörden angestellten oder beschäftigten Beamten und Gehilfen der Staatsanwalt-
schaft; 4. dem Amtsrichter bzw. — bei den mit mehreren Richtern besetzten Amts-
gerichten — dem durch das Ministerium mit der Führung der Aufsicht besonders betrauten
Richter über alle bei den Amtsgerichten angestellten oder beschäftigten Beamten oder Gehilfen
zu. In dem Rechte der Aufsicht liegt die Befugnis, gegenüber nicht richterlichen Beamten
und Gehilfen die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäftes zu rügen und die Er-
ledigung eines Amtsgeschäftes durch zuvor anzudrohende Ordnungsstrafen bis zum Gesamt-
betrage von 100 Mark zu erzwingen 2). Gegenüber richterlichen Beamten beschränken
sich die Befugnisse der mit der allgemeinen Oberaufsicht, mit der Dienstaufsicht und bzw. mit
dem Rechte der Aufsicht betrauten Behörden und Beamten auf das Einfordern von Berichten,
Auskünften und Akten unter Androhung von Zwangsstrafen bis zu 100 Mark, auf das An-
ordnen der Erledigung bestimmter Amtsgeschäfte bei Meidung disziplinären Einschreitens,
und auf die Vornahme oder Anordnung von Amtsvisitationen mit Bezug auf die Tätigkeit
der genannten Gerichte. Noch beschränkter sind die Aufsichtsbefugnisse des mit der allgemeinen
Dienstaussicht betrauten Amtsrichters gegenüber den übrigen Richtern des gleichen Gerichts;
er hat lediglich das Recht, von ihnen Auskünfte über den Stand anhängiger Rechtssachen zu
verlangen und gegebenenfalls die Erledigung „in Erinnerung zu bringen““).
II. Die Organisation der ordentlichen streitigen Gerichts-
barkeits). Die im wesentlichen auf Reichsrecht (GWVG. 5F 12) beruhende organisatorische
Ordnung der Gerichtes) als der zur Bildung der Prozeßgerichte dienenden staatlichen
Behörden, zeigt nach der Ausf VO. v. 14. Mai 1879 und deren späteren Ergänzungen zurzeit
folgendes Bild: Die Provinz Starkenburg hat 22, Oberhessen 20, Rheinhessen 11 Amts-
gerichte:; diese sind mit je einem oder mehreren richterlichen Beamten besetzt und geben
die Grundlage für die Bestellung der Einzelrichter und die Bildung der Schöffengerichte ab7).
1) Siehe VO., die Organisation der obersten Staatsbehörde betrefsend, vom 15. März
1879, i. d. F. v. 1. August 1896, 5 1.
2) Siehe Bek. v. 1. Nov. 1884 (RBl. S. 296) u. Bek. v. 24. Okt. 1885 (RBl. S. 159).
3) AG. z. G G. v. 3. IX. 1878 Art. 33 ff. — Die letztgenannte Befugnis steht dem General-
staatsanwalt bzw. den Oberstaatsanwälten auch hinsichtlich der als Hilfsbeamte der Staats-
anwaltschaft zu erachtenden Beamten des Polizei= und Sicherheitsdienstes, ausschließlich der
Gendarmerie, zu (a. a. O. Art. 37).
4) Siehe Gesetz, die Rechtsverhältnisse der Richter betreffend, vom 31. Mai 1879 Art. 6 ff.
5) Bezüglich der geschichtlichen Entwicklung der Gerichtsorganisation in H. s. Eigen-
brodt, Handbuch der Großh. Hess. Verordnungen, I S. 106 ff.: Weiß, System des Ver-
fassungsrechts des Großh. Hessen 1837, 1 S. 65.
6) Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit steht, insoweit sie nicht ausdrücklich dem Reiche
übertragen ist, den Einzelstaaten zu. Vgl. über die Organisation im allgemeinen Laband, S. 322ff.
7) Siehe Laband S. 326. — Dem Amtsgerichte Mainz sind gleichzeitig die Funktionen
des Rheinschiffahrtsgerichts erster Instanz, d. i. eines nach GV G. F.14 zugelassenen, auf Staats-
vertrag (revid. Rheinschiffahrtsakte Art. 33) beruhenden „besonderen“ Gerichts ((. auch
Laband S. 315) übertragen. Das Landgericht der Provinz Rheinhessen ist, vorbehaltli
der Zuständigkeit der Zentralkommission in Mannheim, zugleich als Rheinschiffahrtsgericht zweiter
Instanz bestellt (V O. v. 14. V. 1879 §+ 4). — Im übrigen ist hier auf die Organisation der be-
sonderen Gerichte nicht einzugehen; vgl. hierüber Laband S. 314 ff.