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fiskus auf sie übergegangen sei. Das Verwaltungsgericht für den Regierungsbezirk. Marienwerder
hat durch Urtheil vom 14. Januar 1875 die Klage, soweit sie gegen Marienau und Schäferei
gerichtet ist, abgewiesen, dagegen die Gemeinde Marienfelde zur Zahlung der eingeklagten
56 Thlr. 7½ Sgr. verurtheilt. Der Kläger hat sich bei dem abweisenden Theile der Entscheidung
beruhigt; die Gemeinde Marienfelde hat rechtzeitig die Berufung eingelegt und die Abweisung des
Klägers auch ihr gegenüber beantragt. Das Bundesamt hat abändernd den Kläger angebrachter-
maßen abgewiesen und Folgendes ausgeführt:
Der erste Richter nimmt an, daß die Auguste K. durch den mehrjährigen Aufenthalt ihres
Vaters in dem „Marienfelde"“ genannten Häuserkomplex den Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde
Marienfelde erworben habe; er hält es für gleichgültig, daß zur Zeit des Eintritts ihrer Hülfs-
bedürftigkeit eine Gemeinde Marienfelde als solche noch gar nicht in's Leben getreten war; er
schreibt der Erhebung der Ortschaft Marienfelde zu einer Gemeinde eine rückwirkende Kraft bei
und will die Sachlage so beurtheilt wissen, als ob der mehrjährige Aufenthalt des K. sen. in der,
wenngleich erst später entstandenen Gemeinde Marienfelde stattgefunden habe. Diese Auffassung
ist nicht haltbar. Der K. konnte den Unterstützungswohnsitz nur in einem wirklich existirenden
Armenverbande, also im vorliegenden Falle nur in dem Gutsarmenverbande Marienwerder,
von dem Marienfelde nur einen Theil bildete, erwerben. Es ist nicht erfindlich, wie die bezüg-
liche, auf dem gesammten Gutsarmenverbande ruhende Verpflichtung, in Folge der Zerlegung des
letzteren in mehrere Ortsarmenverbände, so ohne Weiteres wie der erste Richter annimmt, auf
Einen der letzteren allein hat übergehen können.
Die Auffassung des ersten Richters führt in der Praxis der einzelnen Fälle, wie sie im
wirklichen Leben sich häufig genug gestalten, zu Ergebnissen, die sich sofort als unannehmbar
herausstellen. Wenn N. N., der in der Gemeinde A. den Unterstützungswohnsitz hat, von da nach
der Gemeinde B. und von dieser nach der Gemeinde E. verzieht, — in jeder derselben sich ein
Jahr lang aufhaltend, ohne nach A. zurückzukehren, so hat er den Unterstützungswohnsitz in A.
verloren, ohne einen neuen Unterstützungswohnsitz zu erwerben, ist also Landarmer; — gleichwohl
würde er, wenn zutenmen die Gemeinden B. und C. zu einer neuen Gemeinde D. vereinigt
würden, nach der Auffassung des ersten Richters plötzlich in dieser neuen Gemeinde den Unter-
stützungswohnsitz erwerben. Wenn der ect. K. in der Zeit bis Ende 1871, statt fortgesetzt in
Marienfelde sich aufzuhalten, abwechselnd und niemals zwei resp. drei Jahre hinter einander in
Marienfelde, Marienau und Schäferei gewohnt hätte, so hätte er nichtsdestoweniger den Unter-
stützungswohnsitz in dem diese drei Ortschaften umfassenden Gutsbezirke Marienwerder erworben;
nach der Auffassung des ersten Richters aber müßte er, nach erfolgter Zerlegung des qu. Guts-
bezirkes in die drei mehrgedachten Gemeinden resp. Ortsarmenverbände, plötzlich als Landarmer
betrachtet werden. —
Die Frage, auf wen die, dem Gutsarmenverbande in seiner Totalität obliegende
Verpflichtung bezüglich der Auguste K., nach Aufhebung des Gutsbezirkes als solchen übergegangen
sei? kann nach allem diesem nur dahin beantwortet werden, daß sie — bis zu einer stattgehabten
Auseinandersetzung — auf alle diejenigen Verbände in iprer Gesammtheit übergegangen ist, welche
an die Stelle des Gutsbezirkes getreten sind und an dessen Stelle fortan die Last der Armenpflege
den gesetzlichen Bestimmungen gemäß, zu tragen haben. Wird eine Gemeinde oder ein sonstiger
Kommunalverband in zwei Gemeinden resp. Kommunalverbände zerlegt, so gehen, — bis zur
näheren Regulirung der Verhältnisse, — die bisher entstandenen Rechte und Pflichten als
gemeinsame Rechte und Pflichten auf die neu gebildeten Korporationen über; gesonderte
Rechte und Pflichten können für die letzteren erst von dem Zeitpunkte ab zanhesen mit welchem
sie selbst eine gesonderte Existenz erlangt haben. Daß eine derartige Gemeinschaftlichkeit, nament-
lich soweit es sich um öffentlich-rechtliche Pflichten handelt, von erheblichen Unzuträglichkeiten be-
gleitet sein muß, ist allerdings richtig. Gerade deshalb aber hat das Gesetz der höheren Ver-
waltungsbehörde die Pflicht auferlegt, sich der Regelung der bezüglichen Verhältnisse zu unter-
ziehen. Wenn der erste Richter eine solche Regelung in Beziehung auf die öffentliche Armenpflege-
last für unausführbar hält, so ergiebt schon die dem Bundesamte zur Seite stehende thatsächliche
Erfahrung das Irrthümliche dieser, auch sonst von dem ersten Richter nicht genügend motivirten