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8. Heimath-Wesen.
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Bezüglich der Frage, wer im Sinne des 8. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 als Gewerbegehülfe
anzusehen sei, hat sich das Bundesamt in Sachen Christianstadt wider Sorau durch Erkenntniß vom
16. September 1876 dahin ausgesprochen:
Unter Gewerbegehülfen im Sinne des §. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870,
für welche in Erkrankungsfällen der Dienstort die Kosten der Kur und Verpflegung in den ersten
6 Wochen zu tragen hat, sind allerdings, wie das Bundesamt bereits wiederholt (cefr. Entschei-
dungen II. p. 40, III. p. 54, V. p. 74, VI. p. 41) ausgeführt hat, nur solche zu verstehen,
welche die für den Gewerbebetrieb erforderliche technische Ausbildung genossen haben. Vedoch
unterliegt es der thatsächlichen Würdigung im einzelnen Falle, inwiefern die für einen Gewerbe-
betrieb erforderliche technische Ausbildung vorhanden und danach jemand wirklich als Gewerbe-
gehülfe anzusehen ist.
Der Kläger hat nicht bestritten, daß die unverehelichte P. bereits 4 Wochen bei dem
Zigarrenfabrikanten G. in S., und zwar in der Weise beschäftigt gewesen ist, daß sie die Presse
bediente, Wickel wendete, Zigarren abschnitt 2c. Sie ist hiernach, wenn sie auch selbst nicht
Zigarren wickelte, doch bei der gewerbsmäßigen Anfertigung der Zigarren mit dazu gehörigen
Verrichtungen beschäftigt gewesen, die sonst durch andere Gehülfen verrichtet werden mußten, und
muß deshalb auch die dazu gehörig gewesene technische Fertigkeit besessen haben.
Hiernach ist sie als Gewerbegehülfin anzusehen.
N. ee die Frage, inwieweit bei längerer Abwesenheit im Sinne des §. 13 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870
eine Fortsetzung des Aufenthalts angenommen werden könne, hat sich das Bundesamt durch Erkenntniß vom
16. September 1876 in Sachen Friedeberg N.'M. wider Potsdam dahin ausgesprochen:
Obgleich nach §. 13 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 als Unterbrechung des
Aufenthalts eine freiwillige Entfernung nicht anzusehen ist, wenn aus den Umständen, unter
welchen sie erfolgt, die Absicht erhellt, den Aufenthalt beizubehalten, so kann die Anwendung
dieser Vorschrift doch nicht dahin ausgedehnt werden, daß die Beibehaltung des Aufenthalts
ohne eine wirkliche persönliche Anwesenheit nur durch die Absicht auf Jahre hinaus als möglich
angenommen werden kann. In allen den Fällen, in welchen das Bundesamt bisher eine Ent-
fernung, namentlich auf auswärtige Arbeit, nicht für eine Unterbrechung des Aufenthalts ange-
sehen hat, hat eine wiederholte Rückkehr innerhalb der zweijährigen Abwesenheitsfrist stattgefun-
den, oder die Abwesenheit war überhaupt nur eine kurze. Andererseits ist aber (efr. Entscheid. V.
p. 9 flg.) wiederholt ausgeführt, daß die Zurücklassung der Familie, wiederholte Besuche derselben
und das Fortzahlen der Steuern noch nicht geeignet seien, die Annahme einer Fortsetzung des
Aufenthalts seitens des Familienhauptes zu rechtfertigen. S. ist seit Juli 1871 bis zu seiner
im August 1875 eingetretenen Hülfsbedürftigkeit von F. abwesend gewesen.
Es kann dahin gestellt bleiben, ob er ursprünglich bei seiner Entfernung von F. die
Absicht hatte, dort seinen Aufenthalt nach der Rückkehr wieder fortzusetzen und denselben inzwischen
beizubehalten. Wenn er aber über Jahr und Tag fortgeblieben war, so hatte er inzwischen
jedenfalls die Absicht aufgegeben, seinen Aufenthalt in F. beizubehalten und seitdem hat er durch
zweijährige Abwesenheit den Unterstützungswohnsitz daselbst verloren.