Object: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden. Jahrgang 1911. (43)

Verordnungsrecht des Kaisers. Französisch-ultramontane Verhetzung (1873). 285 
fassung eingeführt werde. Fürst Bismarck äußerte sich gegenüber dem letzteren Ver- 
langen sehr entgegenkommend, indem er am 16. Juni erklärte: 
„Die Einrichtung, wonach der Reichstag zugleich auch der Landtag für die besonderen An- 
gelegenheiten Etsast-Lothringens sei. könne nur einstweilige Geltung beanspruchen. Aus diesem 
vorübergehenden Zustande hosfe die Regierung in Ubereinstimmung mit dem Reichstage heraus- 
zukommen, wenn erst die elsaß-lothringischen Abgcordneten im Reichslag sitzen und an der 
Beratung sich beteiligen. Den ganzen Reichstag fortgesctzt zur Vertretung eines Landes von 
1½ Miltlionen Einwohner in Anspruch zu nehmen, dazu sei die Zeit des Reichstags zu kostbar.“ 
Zur Rechtfertigung des Verlangens der im § 8 für die Regierung geforderten Befugnisse zur 
„Fortsetzung der Diltatur“, wie Windthorst aufreizend bemerkt hatte, deutete aber Fürst 
Bsmarck nicht auf den großen politischen Hintergrund dieser Maßregel. Er begnügte sich zu 
versichern, daß auch diese Befugnis von der Regierung nur vorübergehend gefordert werde. daß 
sie aber das Vertrauen beanspruche und rechtfertigen werde, dem Reichstag nie Gelegenheit zu dem 
Vorwurf zu geben: „Wie habt ihr nur dergleichen thun können, nachdem euch die Ansichten des 
Reichstags belannt waren?“ Man werde sorgfältig erwägen, was man nachher vor dem Reichs- 
tag werde rechtfertigen können. 
Am 18. Juni wurde das Gesetz unter Ablehnung der ultramontanen Anträge 
mit großer Mehrheit angenommen und am 5. Juli im „NReichsanzeiger“ verössentlicht. 
Allerdings gehörte das volle deutsche Vertrauen in die „kerndentsche“ Natur der Be- 
völkerung der Reichslande dazu, um gerade jetzt dieselbe der altdeutschen des Reiches 
versassungsmäßig gleichzustellen, da eben jetzt Elsaß-Lothringen von der dreistesten 
französisch-ultramontanen Verhetzung aufgeregt und heimgesucht wurde. Schon 
die Austreibung der Jesuiten und der ihnen verwandten Orden hatte in dem Lande, 
welches die stattliche Summe von 786 Klöstern mit 4259 weiblichen und 726 männ- 
lichen Insassen zählte, besonders tiese Verstimmung erregt. Die nichtultramontanen 
und unbesangenen Kreise der Bevölkerung hatten sich durch diese Reinigung erfrischt 
gefühlt und mehr versöhnt mit Deutschland. Wenigstens konnte der Abgeordnete 
v. Puttkamer, Appellationsgerichtsrat in Colmar (später Unterstaatssekretär in 
Straßburg), dem Reichstag schon 1873 das Buch eines französischen Elsässers vor- 
zeigen, welches den Titel führte „Nos ennemis“ und unter diesen „Feinden“ nicht 
elwa die „Prussiens"“, sondern die Jefuiten verstand. Aber solche vernünftige Stim- 
men wurden übertönt durch das Hetzgeschrei der Ultramontanen und Protestler und 
namentlich durch die amtliche Einwirkung der Bischöfe von Nancy und St.-Die, wel- 
chen deutsche Neichslandkreise (Chateau-Salins, Saarburg 2c. auch nach dem Frankfur= 
ter Frieden noch unterstellt waren. Die beiden reichsländischen Bischöfe in Straßburg 
und Metz dagegen waren nur Suffragane, d. h. Diözesanbischöse mit Sitz und Stimme 
im Bischofskapitel, des Erzbischofs von Besancon. Der amtliche Einfluß, welcher von 
diesen Seiten her auf die reichsländische Bevölkerung geübt wurde, war so gut fran- 
zösisch und ultramontan zugleich, daß der Bischof von Nancy am 3. August 1873 einen 
Hirtenbrief von allen Kanzeln seiner Diözese, also auch in Deutsch-Lothringen, verlesen 
ließ, welcher die Gläubigen zu Gebeten für die Wiedervereinigung von Metz und Straß- 
burg mit Frankreich aufforderte. Der Urheber dieses in Deutschland verübten Frevels, 
der Bischof von Nancy, wurde vom Laudgericht Zabern zu einer Strafse von 2 Mo- 
 
	        
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