86 I, 6. Der Kulturkampf von 1873 bis Ende 1874.
schallte laut und freudig aus weiten Kreisen des Volkes die Zustimmung zu der mann-
haften That der Negierung.
Schon im Dezember 1872 hatte Falk eine Zustimmungsadresse der braun-
schweigischen Landesversammlung erhalten. Im April sprachen sich in der Rhein-
provinz und in Ostfriesland mehrere Versammlungen evangelischer Geistlicher, im
Gegensatze zum Oberkirchenrat, lebhaft zustimmend für die Gesetze aus. Besonders
erfreulich aber war eine am 18. Jannar von etwa 1000 Katholiken aller Stände
Breslaus an den Kaiser gerichtete Adresse, welche die Beschuldigung, daß die katho-
lische Kirche im Deutschen Neiche Verfolgungen zu erleiden habe, eine Unwahrheit
nannte, und versicherte: „daß kein Katholik im weiten Neiche von der Staatsgewalt
an der Ausübung seiner Religion irgendwie gehindert werde, und daß die Kirche die
ihr obliegende Aufgabe in der Verkündung der Heilswahrheiten und der Spendung
von Gnadenmitteln frei und ungestört erfüllen könne“.
Das Herrenhaus hatte am 19. Februar beschlossen, die nach Abschluß der Be-
ratungen im Abgeordnetenhause zu erwartenden vier Falkschen Gesetze an eine Kom-
mission von 20 Mitgliedern zu verweisen, den Gesetzentwurf wegen Abänderung der
Verfassung aber, nach dem Antrag von Patows, durch Vorberatung im Hause zu
erledigen. Die feudalen Dunkelmänner hatten sich schon aus Anlaß der preußischen
Kreisordnumg unheilbar mit der Regierung überworfen. Bismarck aber, dieser Neibe-
reien müde, war Ende 1872 ans dem preußischen Staatsministerimm ausgeschieden und
hatte dessen Leitung Noon überlassen. Nun kämpften diese sendalen Streiter im Herren-
hanse noch leidenschaftlicher gegen die Verfassungsänderung und die Falkschen Gesetze,
als es ihre Gesinnungsgenossen im Abgeordnetenhause gethan hatten. Zu ihrer Ab-
fertigung war Bismarck selbst von Varzin herbeigeeilt, und sofort nach der Anzapsung
seitens des Herrn von Zedlitz, der sich über die Fortschritte des Liberalismus beklagte,
ergriff Bismarck bei der Beratung der Versassungsänderung in der Sitzung vom
10. März das Wort zu einer höchst bedentenden Rede.
„Die Fortschritte des Liberalismus“, sagte er, „sind eine Folge der Desorganisation des
Gegengewichtes in der konservativen Partei. Die Regierung hat sich in der Voraussetzung, daß
die konservative Partei mil Vertrauen auf sie blicke, geläuscht, . und das Vertrauen ist eine
zarte Pflanze; ist es zerstört, so kommt es sobald nicht wieder. Darauf ist dic lonservalive Partei
in sich zur Zersetzung gekommen. Sie, meine Herren, haben wesentlich dazu beigelragen, mich,
da ich glaubte, die Geschäfte an der Spitze einer lonservaliven Partei von einiger Bedentung
und einigem Gewicht führen zu können, herauszudrängen ans meiner darauf berechnelen Stel-
lung im Ministerinm. Sie haben die Voraussetzungen, unter denen ich glaubie, an der Spitze
des Ministeriums bleiben zu können, zerstört. Machen Sie doch nun für Ihr eigenes Werk,
welches Ihr eigener Ubereifer geschafsen hat, nicht die Regierung verantwortlich .. Der Herr
Vorredner hat ferner die Bahn betreien, welche im anderen Hause von den Gegnern der Vorlagen
betreten worden ist, nämlich diesen Vorlagen einen lonfessionellen, ich möchte sogen, einen lirch-
lichen Charakler zu geben. Die Frage, in der wir uns besinden, wird meines Erachtens gefälscht,
wenn man sie als eine konfessionelle, kirchliche betrachtet. Es ist wesenklich eine polilische. Denn
es handelt sich nicht um den Kampf, wie unseren latholischen Mitbürgern eingeredet wird, einer
evangelischen Dynastie gegen die katholische Kirche, es handelt sich nicht um den Kampf zwischen