Erste Regierungshandlungen. Armeebefehte. An Mein Volk. Thronreden. 573
In der inneren wie auswärtigen Politik will Se. Majeslät sich an die Wege halten, auf denen
seine verewigten Vorgänger in der Kaiserwürde neben der Liebe ihrer Neichsgenossen das Ver-
tranen der auswärtigen Mächte dahin gewonnen haben, daß dieselben in der Stärke des Deutschen
Reiches eine Bürgschaft des europäischen Friedens erblicken.“ In dieser Ansprache halte Fürst
Bismarck auch gesagt: das bundesfeste Vertrauen der deutischen Fürsten und Freien Städle
bleibe auch dem jungen Kaiser unerschütterlich treu.
Dieses Wort wurde sofort durch eine großartige Kundgebung bewahrheitct. Denn
alle dentschen Fürsten scharten sich um den jungen Herrscher, als dieser am 25. Jmi
den Reichstag selbst eröffnete. In der mit lauter und bewegter Stimme ver-
lesenen Thronrede wiederholte der Kaiser die Zusicherungen, welche in seinem Namen
Fürst Bismarck bereits im Bundesrat abgegeben hatte. Dann sagte er:
„Insbesondere eigne Ich Mir die von Meinem hochseligen Herrn Großwater am 17. Novem-
ber 1881 erlassene Botschaft ihrem vollen Umfange nach an und werde im Sinne derselben fort-
kahren, dahin zu wirken, daß die Reichsgesetzgebung für die arbeilende Bevölkerung auch ferner
den Schut erstrebe, den sie im Anschlusse an die christliche Sittenlehre den Schwachen und Be-
drängten im Kampfe um das Dasein gewähren kann.“ Die Aufnahme dieser Stelle in die Thron-
rede war vom Kaiser ansdrücklich befohlen worden, noch ehe letztere entworfen war. „In der
answärtigen Politik“, hieß es dann weiter, „bin Ich entschlossen, Frieden zu halten mit jedermann,
soviel an Mir liegt. Meine Liebe zum deutschen Heere und Meine Stellung zu demselben werden
Mich niemals in Versuchung führen, dem Lande die Wohllhaten des Friedens zu verkümmern,
wenn der Krieg nicht eine durch den Angriff auf das Reich oder auf dessen Verbündele uns auf-
gedrungene Notwendigkeit ist. Unser Heer soll uns den Frieden sichern, und, wenn er uns dennoch
gebrochen wird, im stande sein, ihn mit Ehren zu erkämpfen.“
Nach Verlesung dieser Thronrede gab der Kaiser dem Fürsten Bismarck vor der
ganzen Versammlung einen beredten Beweis seiner Huld und Zuneigung. Als er
dem Kanzler nämlich die Thronrede zurückreichte, entließ er ihn noch nicht, sondern
reichte ihm vom Thron herab die Hand und schüttelte die des Kanzlers kräftig. Bis-
marck erwiderte den Händedruck, im nächsten Angenblick aber drückte er einen Kuß auf
die Nechte des Kaisers. Dann erst begab er sich auf seinen Platz zurück und erklärte
den Reichstag für eröffnet. Dieser wurde aber schon am folgenden Tage, nach dem
Erlaß einer schwungvollen Adresse an den Kaiser, wieder geschlossen.
Am 27. Juni vollzog der Kaiser die Erössnung des preußischen Landtags
gleichsalls mit einer Thronrede, in welcher er die nämlichen Versicherungen ab-
gab wie zuvor dem Bundesrat und Reichstag und dann fortfuhr:
„Es liegt Mir fern, das Vertranen des Votles auf die Stetigkeit unserer gesetzlichen Zustände
durch Bestrebungen nach Erweiterung der Kronrechte zu beunruhigen.. Dem Vorbilde Meiner
erhabenen Ahnherren folgend, werde Ich es jederzeit als eine Pflicht erachten, allen religiösen Be-
kenntnissen in Meinem Lande bei der freien Ausübung ihres Glandens Meinen löniglichen Schun
angedeihen zu lassen.. Ich trete an die Mir nach Gottes Fügung gestellte Aufgabe mit der
Zuversicht des Pflichtgefühts heran und halte Mir dabei das Wort des Großen Friedrich gegen-
wärtig, daß in Preußen der König des Staates erster Diener ist.“
Fürst Bismarck äußerte sich tags darauf (28. Juni) gegenüber einigen Mitgliedern
des Herrenhauses über Kaiser Wilhelm II. und die allgemeine Lage dahin (Hahn-
Wippermann a. a. O., S. 548 und 549):