494
Staatsfinanzen — Staatslirchliche Gerichtsbarkeit
S 279] große Nachteile für die Kassengebarung
mit sich. So mußten die bei der Reichsbank zu
begebenden Schatzanweisungen zur vorübergehen-
den Verstärkung der Betriebsmittel immer weiter
erhöht werden. I/N Schatzanweisungen.] Erst die
neue Reichsfinanzreform hat wieder eine Erleichte-
rung der Reichskasse gebracht. Ferner sind die
Reichsbetriebsfonds neuerdings mehrfach gestärkt
worden. (Vgl. Verwaltung und Statistik April-
heft 1912 S 98, Januarheft 1913 S 1). Die
Vorschüsse der Post an die Berufsgenossenschaften
sind beseitigt durch §6 des R v. 15. 7. 09 betr.
Aenderungen im Finanzwesen.
Als mehr oder weniger selbständige Zentral-
kassen des Reichs kommen in Betracht: Die
Generalmilitär-, Post-, Legationskasse, die Bureau-
kasse des RT, Hauptkasse der Reichseisenbahnen,
Kasse des Patentamts, Kolonialhauptkasse, die
Oberpostkassen in Leipzig und Kiel für Reichs-
gricht bezw. Kaiser Wilhelm-Kanal, endlich
ie Pr. Staatsschuldentilgungs- und Oberrech-
nungskammerkasse für Reichsschuld bezw. Reichs-
nechnungekl. Diese Kassen haben die betr.
Kassengeschäfte selbständig zu führen, darüber
Rechnung zu legen, werden aber von der Reichs-
hauptkasse nach Bedarf mit Geldmitteln ausge-
stattet und haben etwa überschüssige Bestände
an sie abzuführen (Kasseneinheit). Für die Reichs-
marinekasse dient die Reichshauptkasse gleichzeitig
als Zentralkasse. Die Generalpostkasse hat (seit
1879) ein Konto beim Girokontor der Reichshaupt-
bank, über das der gesamte Verkehr mit den Ober-
postkassen geleitet wird. Das Konto wird täglich
abgeschlossen. Die Abrechnung der Generalpost-
7 mit der Reichshauptkasse findet monatlich
tatt.
Die Erhebung der Gebühren für Benutzung
von Reichsanstalten geschieht durch die den betref-
feenden Behörden beigegebenen finanziellen Or-
gane, von welchen die Abführung der Einnahmen
direkt an die Hauptkasse erfolgt. Hinsichtlich der
Abrechnung der Post= und Telegraphengefälle ist
nach einem langen Uebergangsstadium im Jahre
1879 der a 51 der RV zur vollen Durchführung
gekommen.
Von den Reichssteuern erhebt und verrechnet
die Postverwaltung die Wechselstempelabgabe (J.
Die Banknotensteuer bezahlen die einzelnen No-
tenbanken [IV an die Reichskasse.
Der Geldverkehr des Reichs mit den
Bundesstaaten vermittelt sich durch die
Landeskassen, insbesondere finden monatlich Ab-
rechnungen über von den einzelstaatlichen Behör-
den für das Reich erhobene Abgaben, Verbrauchs-
steuern, Zölle, Matrikularbeiträge usw. statt
(Zoll WV von 1867; a 3 56, a 16, 4, a 36 Abl2, 38
der R; R v. 4. 12. 71 & 3). Vgl. auch Proto-
kolle des BR 1876 544, 1878 8301 und 1880 5 372.
Ueber die Rechnungsablage der Kassen sowie die
Revision der Rechnungen 7 Staatshaushalt §& 9ff.K
Liüteratur: Rühl, Die Kameralrechnungswissen-
schaft und die Anwendung ihrer Theorie im Staats- und
Gemeindehaushalt 1867; v. Czörnig, Darstellung der
Einrichtungen über Budget, Staatsrechnung und Kontrolle
in Cesterreich, Preußen usw., Wien 1806; v. Rönne
4, 873 ff; Graaf, HB des Etatskassen= und Rechnungs-
wesen, 1821; Herrfurth, Das gesamte preuß. Rech-
nungswesen, 18811 Meißner, Die das Rechnungs-
wesen des preuß. Staates umfassenden Gesetze und Berord-
nungen, 1878; Laband, Das Finanzrecht des Deutschen
Reichs (Annalen 18783, 523 f); Fahrmbacher, Das
Zahlungswesen der allgemeinen Finanzverwaltung in
Bayern, 18765; Holtzendorff, R. L. 3, 751, Art.
Staatskassenverwaltung; Schönberg 2, 413 ff; Wal-
ter, Die Preußische Oberrechnungskammer, 1887. S.
auch Literatur zu Staatshaushalt. O. Schwarz, For-
melle Finanzverwaltung, 1907, S 107 ff; Buschkeil,
Das Kassen= und Zahlungswesen der staatl. und kommun.
Behörden im Königr. Sachsen, 1909. Die Reichsfinanz-
reform. Ein Führer. Berlin 1909 II, S 413;:; Zeller
in der 1. Aufl. dieses WB. Ferner A. Wagner, Lehr-
buch der Finanzwissenschaft 1883 I 253.
S. auch die bei dem Artikel „Staatshaushalt“ (S. 490)
angegebene Literatur. DO. Schwarxz.
Staatshaushalt
Staatsfinanzen III S 480.
Staatskassen
Staatsfinanzen IV S 490.
–– — —
Staatskirchliche Gerichtsbarkeit
(Appellatio tamquam ab abusu)
* 1. Geschichtliches. # 2. Preußen.
Sachsen. 1 5. Württemberg.
6# 8. Elsaß-Lothringen.
*§ 1. Geschichtliches. Bei der st. G., wie sie sich
seit Ausgang des Mittelalters entwickelt hat, be-
gegnen sich zwei Gedankenreihen. Es galt einer-
seits Uebergriffe der geistlichen Gewalt in die
staatliche Rechtssphäre zurückzuweisen, an-
dererseits die kirchlichen Rechte der Unter-
tanen und die durch Privilegien oder Gewohn-
heiten begründete Sonderstellung des
nationalen Kirchenverbandes gegen Be-
einträchtigungen, namentlich seitens des Papstes,
wirksam zu schützen.
I. Um diesen Aufgaben gerecht zu werden,
diente die Appellatio (recursus) tamquam ab
abusu, ein Rechtsmittel, welches zuerst in Spa-
nien unter dem Namen KRecursos de Fuerza
angeblich schon seit 1348 vorkommt, dann in
Frankreich unter dem Namen Appel comme
chabus seit der Pragmatischen Sanktion von 1438
näher ausgestaltet wurde, von hier aus aber, mehr
oder weniger nachgebildet, fast in alle europäischen
Kulturstaaten, auch nach Deutschland, überge-
treten ist.
1. Seine feste gesetzliche Regelung erhielt der
französische Appel comme d'’abus
1539 durch die berühmte Ordonnanz von Villers-
Cotteret. Zur vollen Entfaltung gelangte er
jedoch erst gegen Ausgang des 16. Jahrhunderts,
als Pierre Pithou 1594 die sog. Franchises et
5*3. Bayern. 1 4.
#5s 6. Baden. 3 7. Hessen.