Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 25. Lebensvermutung. Umkommen in gemeinsamer Lebensgefahr. 89 
Todeserklärung selbst, nur gegenüber Verschollenen. Ist also das Leben eines 
Nichtverschollenen streitig, so muß es in gewöhnlicher Art bewiesen werden. 
Beispiele. I. Die Brüder A. und B. sind, nachdem sie volljährig geworden, 02 nach 
Amerika ausgewandert, haben aber vorsichtshalber ihren Vater C. mit Generalvollmacht 
versehn; 03 stirbt ein Verwandter der Brüder, in dessen Testament beiden eine lebensläng- 
liche Rente von 1000 Mk. jährlich ausgesetzt ist; A. schreibt pünktlich alle halbe Jahr; da- 
gegen hat B. seit der Abreise nichts von sich hören lassen. 1. Hier muß C., wenn er die 
Rente für A. einzieht, jedesmal dessen Leben beweisen. 2. a) Dagegen ist bei den Renten B.s 
dieser Beweis bis Ende 12 unnötig; denn B. schreibt ja nicht; also — wird er bis Ende 
12 als lebend vermutet. b) Dagegen kann C. von 13 ab die Rente für B. nicht mehr 
erheben; denn daß B. jetzt noch lebt, wird nicht mehr vermutet. Andrerseits muß er die 
für B. bis 13 erhobenen und auf der Sparkasse eingezahlten Renten (10000 Mk. samt 
Zinsen!) auch jetzt noch für B. aufheben und darf sie nicht etwa zwischen sich und A. als 
den gesetzlichen Erben B.#s teilen; denn daß B. jetzt tot ist, wird ebensowenig vermutet, wie 
daß er noch lebt: sein Leben gilt jetzt als schlechthin ungewiß. II. Gleicher Fall; nur ist 
das Schiff, auf dem A. und B. nach Amerika fuhren, am 1. Juni 02 auf eine Sandbank 
geraten; A. hat sich mit einigen andern Gefährten in einem Boot ausgeschifft und ist gerettet 
worden; dagegen ist das Schiff selbst samt B. verschollen. Hier muß, wie zu I. das Leben 
des geretteten B. alljährlich bewiesen werden; dagegen wird das Leben des auf dem Schiff 
verbliebenen B. bis zum 1. Juni 05 vermutet! 
IV. Wenn mehrere Personen in gemeinsamer Lebens- 
gefahr umgekommen sind, wird, bis der Gegenbeweis erbracht ist, ver- 
mutet, daß alle gleichzeitig gestorben sind (20).4 
Beispiele. A. und B., der einzige Sohn des ältesten vorverstorbenen Sohnes des A., 
sind am nämlichen Tage gestorben; beide haben ein Testament nicht errichtet; die nächsten 
Angehörigen sind C., der zweite Sohn A.s, sowie D., die Witwe Bes. I Wenn Al. nachweis- 
lich eine Stunde vor B. gestorben ist, wird er von B. und C. zu je ½, B. aber wird allein 
von der D. beerbt (1924, 1931 II). II. Wenn A. nachweislich eine Stunde nach B. ge- 
storben ist, wird B. von A. zu ¼, von der D. zu /, A. aber wird allein von C. beerbt 
(1926, 1931 I, 1924). III. Wenn A. und B. in derselben Schlacht gesallen sind, ohne daß 
sich ermitteln läßt, wer zuerst verstorben ist, wird vermutet, daß keiner den andern überlebt, 
also auch keiner den andern beerbt hat; somit wird A. nur von 
C. B. nur von der D. beerbt. IV. Wenn A. und B., ein jeder (½92# 
zu Hause, an verschiedenen Krankheiten gestorben sind, ohne daß 
sich ermitteln läßt, wer zuerst gestorben ist, greift die zu III er- Or 
wähnte Vermutung nicht ein. Trotzdem ist die Entscheidung die- 
selbe wie zu III: denn bezüglich ihrer Erbansprüche sind sowohl 
C. wie die D. beweispflichtig; da nun weder C. das Überleben PU# □B 
A.s noch die D. das Uberleben B.8 beweisen kann, ist das Er- 
gebnis, daß weder eine Beerbung B.s durch A. noch eine Beerbung A.s#durch B. an- 
zunehmen ist. Nur insofern besteht ein Unterschied zwischen den Fällen III und IV, daß 
dort sowohl C. wie die D. über ihr Erbrecht einen formellen Erbschein erhalten können, 
während hier ein solcher nicht erteilt werden kann. Denn die Erteilung eines Erbscheins 
setzt voraus, daß die Erbprätendenten ihr Erbrecht durch vollen Beweis (I, 11) oder durch 
gesetzliche Vermutung (1II) positiv darlegen (2356), lassen es dagegen nicht genügen, wenn 
das Erbrecht eines Erbprätendenten nur auf der negativen Feststellung beruht, daß ein andrer 
Prätendent sein besseres Erbrecht oder Miterbrecht nicht zu beweisen vermag (IV). 
4) Böckel, Arch. f. z. Pr. 93 S. 478.
	        
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