Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 38. Wohnsitz. 105 
daß man dort eine eigne Wohnung nimmt, und kann ihn aufgeben, obschon 
man dort eine eigne Wohnung behält. 
Beispiele. I. Der Fabrikbesitzer A. in Merseburg wird auf ein Jahr in das Zuchthaus 
zu Halle abgeführt. Fortab ist also Halle zwangsweise sein Aufenthaltsort. Dagegen hängt 
es von seinem freien Willen ab, ob er auch den Wohnsitz dorthin verlegen will. Dieser 
Wille wird z. B. anzunehmen sein, wenn er die Fabrik in Merseburg auflöst, seine dortige 
Wohnung kündigt und seine Familie bei Verwandten unterbringt. Denn alsdann ist er- 
kennbar, daß er das Jahr über im Zuchthause zu Hause sein will. II. 1. B. in Bremen 
hat seinen Vater, der zuletzt in Harzburg gewohnt hat, beerbt und gibt nun seine Bremer 
Wohnung auf, um nach Boppard zu ziehn; während die Möbel zwischen Bremen und 
Boppard unterwegs sind, geht er mit seiner Familie nach Harzburg und wohnt hier in dem 
väterlichen Hause, annonciert aber zugleich in der Zeitung, das Haus samt Mobiliar solle 
schleunigst verkauft werden. Hier hat B. den Wohnsitz in Bremen aufgegeben, ohne in 
Harzburg und fürs erste auch in Boppard einen neuen Wohnsitz zu begründen. Er ist also 
vorübergehend wohnsitzlos. 2. Derselbe Fall: nur schickt B. bloß die Familie nach Harzburg, 
während er selbst auf eine Woche in ein Bremer und dann in ein Bopparder Gasthaus 
übersiedelt. Hier ist anzunehmen, daß B. nur in der Zeit, während er persönlich von Bremen 
nach Boppord fährt, ohne Wohnsitz ist, indem er den Wohnsitz in Bremen erst mit der 
Abreise vom Gasthause aufgibt, den in Boppard schon mit der Ankunft im Gasthause er- 
wirbt. Doch ist auch ein andres denkbar, z. B. daß er sich schon während des Aufenthalts 
im Bremer Gasthause dort als Fremden angesehn hat. Diese Anschauung würde namentlich 
hervortreten, wenn B. sich bereits bei der übersiedlung ins Bremer Gasthaus in Bremen 
polizeilich abgemeldet hätte. 3. Derselbe Fall wie zu 2.; nur verunglückt B. auf der Reise 
nach Boppard, wird in Duisburg ins Krankenhaus gebracht und stirbt dort; inzwischen hat 
seine Familie die Wohnung in Boppard eingerichtet und bezogen. Hier hat D. mit dem 
Einzug der Familie in die Bopparder Wohnung dort auch seinen Wohnsitz erworben, ohne 
jemals in Boppard anwesend gewesen zu sein. III. C. gibt, als er heiratet, seine bisherige 
Junggesellenwohnung in Görlitz auf; während semer Hochzeitsreise soll die Schwiegermutter 
ebenda eine neue Wohnung für ihn mieten und einrichten, so daß das junge Paar bei der 
Kückkehr sofort einziehn kann. Hier hat C. auch während der Hochzeitsreise, obschon zeit- 
weise ohne Wohnung, doch den Wohnsitz in Görlitz behalten. IV. Der Sänger D., der sich 
von der Bühne zurückgezogen hat und seitdem ein bescheidenes Landhaus in Tegernsee be- 
wohnt, kehrt wieder zur Bühne zurück, läßt sich zunächst auf drei Jahre in München enga- 
gieren und nimmt hier in einem Gasthause Wohnung, während er die Villa in Tegernsee 
zum Wohnen eingerichtet beibehält. Hier ist, wenn D. die Villa erkennbar nur gelegentlich 
als Absteigequartier für Jagden benutzen will, anzunehmen, daß er den Wohnsitz nur in 
München hat; läßt er dagegen seine Familie in der Villa zurück, so ist anzunehmen, daß 
er einen Doppelwohnsitz in München und in Tegernsee haben will; verläßt er endlich, so“ 
ost er freie Zeit hat, München und wechselt fortwährend seine Hotelzimmer oder gar das 
Hotel, so ist anzunehmen, daß Tegernsee sein einziger Wohnsitz ist. V. Der Zeitungs- 
schreiber E. pflegt, während der Reichstag einberufen ist, ständig in Berlin, sonst aber in 
Stutigart zu wohnen. Hier ist, wenn E. weder in Berlin noch in Stuttgart einen eignen 
Haushalt hat, anzunehmen, daß er den Wohnsitz abwechselnd an beiden Orten hat; hat er 
dagegen in Stuttgart einen eignen Haushalt, in Berlin nicht, so ist anzunehmen, daß sein 
Wohnsitz nur in Stuttgart ist. 
b) Minderjährige oder andre Personen, deren Geschäftsfähigkeit beschränkt 
oder ganz ausgeschlossen ist, können einen Wohnsitz nur mit Zustimmung ihres 
Gewalthabers begründen oder aufheben (8). 
2. In wichtigen Fällen wird der Wohnsitz einer Person nicht durch 
ihre freie Wahl, sondern durch Gesetzesvorschrift begründet und auf- 
gehoben.
	        
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