§ 38. Wohnsitz. 107
alt; D. ist Referendar in Breslau, kommt zu jedem Urlaube „nach Hause“ und lebt ganz
aus des Vaters Tasche; E. ist Leutnant im Franzregiment, wohnt in Charlottenburg, hat
sich verheiratet, lebt aber wie D. ganz von der väterlichen Zulage; F. und die G. sind
gegen das Verbot des Vaters zur Bühne gegangen, wohnen in Augsburg und unterhalten
sich von ihrer Gage. Hier ist der Wohnsitz des Referendars D. und der (minderjährigen!)
Schauspielerin G. in Potsdam, des Leutnants C. in Berlin, des Schauspielers F. in Augs-
burg. 2. Derselbe Fall; nur ist D. Assessor in Berlin geworden und wohnt in dem näm-
lichen Hause wie sein Bruder E. Hier hat D. den Wohnsitz von Potsdam nach Charlotten-
burg verlegt; daß er nach wie vor aus des Vaters Tasche lebt, macht nichts aus, da bei der
hohen Stellung, die er als Assessor einnimmt, seine Emanzipationsabsicht nicht anzuzweifeln ist.
II. Der Wohnsitz ist privatrechtlich von großer Bedeutung. Namentlich
ist er oft für den Erfüllungsort der Verbindlichkeiten (269) und damit auch
für die Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts erheblich.
III. Rüchblick auf das bisherige Recht.
§ 39.
I. 1. Im älteren Recht galt ein neugeborenes Kind nur als rechts-
fähig, wenn es sein Leben in einer nicht bloß dem Arzt verständlichen Weise,
also z. B. durch Beschreien der vier Wände, kundgetan hatte.: Dies Erfordernis
ist aber seit der Rezeption allgemein fallen gelassen.?
2. Im älteren Recht konnte der rechtsfähige Mensch seine rechtliche Per-
sönlichkeit schon bei Lebzeiten einbüßen, so daß er seines Vermögens und seiner
Familienrechte völlig verlustig ging. Es geschah dies, wenn er verknechtet
wurde oder in Friedlosigkeit verfiel.
a) Die Verknechtung hat ihre ursprüngliche Bedeutung schon sehr
früh verloren. Denn bereits in fränkischer Zeit hat man angefangen, den
Knecht nicht als Sache, sondern als Person, wenn schon als Person minderen
Rechts, zu behandeln.“
b) Dagegen ist die Friedlosigkeit, die namentlich gegen den eintrat,
der Jahr und Tag in des Reiches Acht blieb, bis zum Ausgang des Mittel-
alters in Geltung gewesen.“
Der Friedlosigkeit verwandt ist die Strase des bürgerlichen Todes, die noch in
neuerer Zeit z. B. nach bayrischem Recht galt. Doch bedeutete sie nur eine scharfe Minde-
rung, nicht aber eine völlige Aufhebung der Rechtsfähigkeit. Jetzt ist sie abgeschafft, spätestens
1871 durch das Reichsstrafgesetzbuch-? — Über den Eintritt ins Kloster s. unten bei Anm. 22.
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3) Oben 8 13 III, 2b und unten den Zusatz zu Buch II Abschn. 1.
1) Ssp. I, 33; sächs. Lehnr. 20 S§ 1.
2) Regelsberger 1 S. 243.
3) Brunner 1 8 30.
4) Ssp. I, 38 § 2; Verfemungsformel bei Kraut, D.Pr. R. § 49 Nr. 5.
5) Gierke 1 § 425.