Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

152 Buch I. Abschnitt ö. Rechtsgeschäfte. 
Das will besagen: der Wille, der der Außerung zu entnehmen ist, muß darauf 
gerichtet sein, irgend eine privatrechtliche Wirkung hervorzubringen. Doch 
braucht der Urheber der Außerung sich über die juristische Natur der Wirkung 
nicht im klaren gewesen zu sein; vielmehr genügt es, wenn er das, was in 
Wahrheit Rechtswirkung ist, als tatsächliche Wirkung gewollt hat. 
d) Es liegt nahe, noch ein weiteres Merkmal des Rechtsgeschäfts zuzu- 
sügen, nämlich zu sagen: Rechtsgeschäft ist eine private Willensäußerung, die 
auf eine dem bürgerlichen Recht angehörige Rechtswirkung abzielt und diese 
Rechtswirkung, dem Willen des Urhebers des Rechtsgeschäfts 
entsprechend, auch tatsächlich hervorbringt. Doch wäre das irrig. 
Denn nach allgemeinem Sprachgebrauch (138, 306 usw.) gibt es neben den 
wirksamen auch völlig unwirksame Rechtsgeschäfte; das wäre aber widersinnig, 
wenn die Rechtswirksamkeit zum Wesen eines Rechtsgeschäfts gehörte. ? 
Beispiele. I. 1. A. vereinbart mit dem Bootsmann B., daß dieser ihn gegen eine 
Vergütung von 3 Mk. auf seiner Jolle von Hamburg nach Blankenese fahre. Daß dies 
beiderseits ein Rechtsgeschäft ist, liegt auf der Hand. 2. C. springt an der Haltestelle in eine 
überfüllte Trambahn; der Kondukteur D. sieht dies, erhebt aber keinen Widerspruch, sondern 
gibt das Signal zum Weiterfahren. Auch hier liegt ein Rechtsgeschäft auf beiden Seiten vor. 
Denn aus dem Verhalten sowohl des C. wie des D. geht unzweideutig hervor, daß sie, 
obschon keiner von beiden ein Wort spricht, dennoch einen ähnlichen Vertrag abschließen 
wollen, wie im ersten Fall A. und B. 3. E. will sich einen Wagen zur Fahrt über 
den Fernpaß nehmen, wenn er noch einen zweiten Teilnehmer an der Fahrt findet, und 
fragt den F. deutlich und bestimmt, indem er zugleich den Preis des Wagens und die 
Zeit der Abfahrt angibt, ob nicht F. vielleicht der zweite sein wolle; F. hat wenig Neigung 
dazu; trotzdem antwortet er „selbstverständlich“, weil er nicht aufgepaßt hat und der Meinung 
war, E. frage nur, ob über den Paß eine fahrbare Straße führe; darauf sagt E. „das 
freut mich“ und bestellt sofort den Wagen. Hier liegt wiederum ein Rechtsgeschäft auf 
beiden Seiten vor. Bezüglich des F. könnte man freilich einwenden, daß er ja irgend einen 
Willensentschluß in Ansehung der Paßfahrt tatsächlich nicht gefaßt und also auch nicht ge- 
äußert habe. Indes kommt es hierauf nicht an, sondern es genügt, daß das „selbstver- 
ständlich" des F., obschon es eine Bejahung der Frage des E. nicht sein sollte, doch dem 
E. als eine Bejahung seiner Frage erscheinen mußte; denn war dies der Fall, so war nach 
den Regeln juristischer Auslegung aus dem Verhalten des F. sein Wille zu entnehmen, 
daß er zusammen mit E. über den Fernpaß zu fahren bereit sei. 4. G. gibt am Ende 
einer Secreise dem Steward H. eine Mark Trinkgeld; H. weist die Mark mit den Worten 
zurück: „behalten Sie den Bettel selber"“; als aber G. die Mark ruhig auf dem Tisch läßt 
und fortgeht, macht G. sich unauffällig an dem Tisch zu schaffen und nimmt dabei, wie die 
Frau des G. bemerkt, die Mark heimlich an sich. Auch hier haben wir es wieder mit 
einem Rechtsgeschäft sowohl auf seiten des G. wie auf seiten des H. zu tun. Allerdings 
könnte man bezüglich des H. zweifeln, da er den Willen, die Mark schließlich doch zu nehmen, 
nach Kräften geheim gehalten, also nicht „geäußert“ habe. Indes ist dem H. die Geheim- 
haltung seines Willens eben nicht gelungen: es muß also dabei bleiben, daß er den 
Willen, wenn schon unabsichtlich, doch geäußert hat. 5. a) Ein Kellner bringt dem J., der 
im Speisewagen der Eisenbahn sein Mittagessen einnimmt, eine Flasche Wein, obschon J. 
keinen Wein haben wollte und auch keinen bestellt hat: J. widerspricht nicht, läßt aber den 
Wein unberührt stehn und weigert sich, als der Kellner ihn mit auf die Rechnung setzt, ihn 
zu bezahlen. Hier liegt in Ansehung des Weins ein Rechtsgeschäft nur auf seiten des 
Kellners, nicht auf seiten des J. vor; denn der Kellner hat zwar den Wein liefern, J. 
aber hat ihn nicht nehmen wollen. Hieran ändern auch die Regeln juristischer Auslegung 
  
  
2) Ebenso Manigk S. 190.
	        
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