5 51. Begriff des Rechtsgeschäfts. 153
nichts; denn diese Regeln besagen durchaus nicht, daß in einem Fall wie dem vorgenannten
ein bloßer Nichtwiderspruch gegen eine unbestellte Lieferung als Außerung des Willens, die
Lieserung anzunehmen, angesehn werden müsse. b) Gleicher Fall; nur hat J. tatsächlich
den Willen gehabt, den Wein zu bestellen und, als der Kellner ihn unbestellt brachte, hatte
er auch den Willen, ihn zu behalten:; erst als ein Nachbar den Wein tadelte, hat sich J.
entschlossen, die Lieserung zurückzuweisen. Hier ist die Entscheidung dieselbe wie zu a. Denn
J. hat hier den Entschluß, die Lieferung zu behalten, zwar gefaßt, aber nicht geäußert.
II. Die Stadt K. kündigt ein Darlehn, das sie dem L. gegeben, und als L. nicht zahlt,
verklagt sie ihn, erstreitet ein obsiegliches Urteil und läßt durch den Gerichtsvollzieher M.
gewisse dem L. gehörige Wertpapiere pfänden. 1. Hier ist die Kündigung des Darlehns ein
Rechtsgeschäft der Stadt K. Freilich ist diese eine Person des öffentlichen Rechts. Sie
titt aber, wenn sie ein Darlehn kündigt, wie eine Privatperson auf. 2. Dagegen ist die
Pfändung der Wertpapiere kein Rechtsgeschäft des M. Denn sie ist von diesem als Beamter
kraft obrigkeitlicher Gewalt vorgenommen. III. 1. N. verlobt sich mit der O. Hier liegt
beiderseits ein Rechtsgeschäft vor. Freilich kann es sehr wohl sein, daß weder N. noch die
O. die Rechtsfolgen eines Verlöbnisses gekannt und daß sie also diese Rechtssolgen als solche
auch nicht gewollt haben. Das ist aber unerheblich. Denn mindestens ethisch haben sie
durch ihre Verlobung miteinander verbunden sein wollen. Diese ethische Bindung wird
nun aber vom Gesetz zugleich als eine juristische anerkannt (1298). Also haben beide, ohne
es zu wissen, auch eine juristische Bindung gewollt. 2. P. schreibt an seinen Oypotheken=
gläubiger O.: „Der Zinssatz Ihrer ersten Hypothek sowie die Rückzahlungsbedingungen müssen
geändert werden; wenden Sie sich dieserhalb an Rechtsanwalt R.; ich habe ihn bevoll-
mächtigt, die Angelegenheit zu regeln. Bei Ihrer zweiten Hypothek bedarf es einer Neu-
regelung nicht, da ich sie Ihnen ohnehin kündigen muß, weil mein Bruder sie erwerben
will.“ Hier könnte man denken, daß dieser Brief zwei Rechtsgeschäfte P.s enthielte, nämlich
die Erteilung einer Vollmacht an R. bezüglich der ersten und eine Kündigung der zweiten
Hypothek. Sieht man aber näher zu, so erkennt man, daß P. dem O. die Vollmachts-
erteilung an R. als eine bereits erfolgte und die Kündigung als eine erst bevorstehende
Tatsache lediglich anzeigt. Daß er mit dieser Anzeige irgend eine Rechtswirkung hervor-
bringen will, steht durchaus nicht fest. Der Brief enthält also ein Rechisgeschäft nicht.?
IV. 1. S. bietet sein Haus dem T. mündlich für 6000 Mk. zum Kauf an, jedoch mit dem
Zusaß##„freibleibend“ (= unverbindlich). Hier liegt ein Rechtsgeschäft nicht vor, weil S.
(gerade wie P. in dem zu III, 2 behandelten Fall) mit seinem Angebot eine Rechtswirkung
gar nicht erzielen will. 2. Derselbe Fall: nur hat S. das Wort „freibleibend“ fortgelassen.
Hier ist ein Rechtsgeschäft vorhanden. Freilich ist das Gebot S.s hier gerade ebenso un-
wirksam, wie wenn S. die Klausel „freibleibend“ gebraucht hätte; denn es entbehrt der
gesetzlich vorgeschriebenen Beurkundung (313). Allein die Unwirksamkeit ist in diesem Fall
von S. anscheinend nicht beabsichtigt, sondern greift gegen seinen Willen Platz. Zu 1 haben
wir es also mit einem Nichtrechtsgeschäft, zu 2 haben wir es mit einem unwirksamen Rechts-
geschäft zu tun.
Wenn wir alle obrigkeitliche Akte als Nichtrechtsgeschäfte bezeichnen, ist das nur im
Sinn des Privatrechts gemeint; wir müßten also strenggenommen sagen, daß sie nicht
„privatrechtliche“" Rechtsgeschäfte seien, und es dahingestellt sein lassen, ob man sie nicht
wenigstens teilweise als „öffentlichrechtliche“ Rechtsgeschäfte zu qualifizieren hätte. Doch
wäre es gar zu schleppend und ist in einem Lehrbuch des bürgerlichen Rechts sicher unnötig,
den Ausdrücken „Rechtsgeschäft“ und „Nichtrechtsgeschäft“ jedesmal dice einschränkende Klausel
„im Sinn des Privatrechts“ zuzusügen. Es mag deshalb bei unfsrer abgekürzten, wenn
schon ungenauen Terminologie verbleiben.
2. Die Begriffsbestimmung zu 1 gibt nur die Momente an, die sämt-
lichen Rechtsgeschäften des Privatrechts gemeinsam sind, läßt dagegen alle
Momente außer acht, die nur bei bestimmten einzelnen Arten von Rechts-
3) Siehe aber unten zu II, 2 b.