Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

154 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte. 
geschäften vorkommen, mögen sie für diese noch so charakteristisch, noch so 
wesentlich sein. Besonders hervorgehoben sei, 
a) daß es einzelne Arten von Rechtsgeschäften gibt, die außer einer 
Willensäußerung noch Bestandteile andrer Art enthalten, 
b) daß es einzelne Arten von Rechtsgeschäften gibt, bei deren Vornahme 
nicht bloß Privatpersonen, sondern auch Behörden als solche beteiligt sind. 
Beispiele. I. Wenn A. das Eigentum an einem ihm lästig gewordenen Hunde auf- 
geben will, tut er dies durch das Rechtsgeschäft der Dereliktion. Dies besteht aber nicht 
bloß aus einer auf Aufgabe des Eigentums gerichteten Willensäußerung, sondern muß da- 
durch ergänzt werden, daß A. den Hund tatsächlich fortjagt (959, 856 1). II. Die Ehe- 
schließung geschieht durch ein Rechtsgeschäft, bei dem außer den Verlobten als Privatpersonen 
auch der Standesbeamte amtlich mitwirkt (1317). 
3. Von den Rechtsgeschäften zu unterscheiden sind die Rechtshand- 
lungen. Zu diesen sind alle Handlungen zu zählen, die eine Rechtswirkung 
erstreben oder erreichen, auch wenn sie nicht rechtsgeschäftlicher Natur sind. 
Es ist also jedes Rechtsgeschäft eine Rechtshandlung, nicht aber auch umgekehrt 
jede Rechtshandlung ein Rechtsgeschäft. 
Beispiele. I. A. engagiert für seine Jagd den B. als Treiber. Das ist ein Rechts- 
geschäft, also auch eine Rechtshandlung. II. A. fehlt auf der Jagd aus Ungeschicklichkeit 
einen Hasen und trifft dafür den B. Das ist eine Rechtshandlung (weil sie die Rechts- 
wirkung hervorbringt, daß A. den B. entschädigen muß), aber kein Rechtsgeschäft (weil A. 
diese Rechtswirkung nicht hervorbringen wollte). 
II. 1. Der Begriff des Rechtsgeschäfts ist offensichtlich von allergrößter 
Bedeutung. Denn er umfaßt die Fülle der Tatbestände, in denen der Wille 
der Privatpersonen, die sog. Privatautonomie, die Herrschaft auf dem 
Gebiet des bürgerlichen Rechts für sich beansprucht. Zwar ist die entscheidende 
Macht, welche Rechtswirkungen endgültig schafft, auch bei den Rechtsgeschäften 
nicht der Wille der beteiligten Privatpersonen, sondern das Gesetz. Doch wird 
hier das Gesetz nur als Diener des Willens jener Privatpersonen in Anspruch 
genommen. 
2. a) Ebendadurch erklärt es sich, daß die Rechtsgeschäfte, so verschieden 
sie auch untereinander sind, doch alle zusammen — unter Vorbehalt von Aus- 
nahmen oder gar ausnahmslos — gewissen gemeinsamen Vorschriften unter- 
liegen: sobald die Privatautonomie ihren Einfluß geltend machen will, machen 
sich auch — unter Vorbehalt von Ausnahmen oder ausnahmslos — diese 
Vorschriften geltend. Es sind dies vor allem die Vorschriften über die Ge- 
schäftsfähigkeit, über die Stellvertretung, über Bedingung und Befristung, über 
Willensmängel. 
b) Hiermit ist aber nicht gesagt, daß die Anwendbarkeit der eben ge- 
nannten Vorschriften eine ausschließliche Eigentümlichkeit der Rechtsgeschäfte 
sei. Vielmehr ist es sehr wohl möglich, daß diese Vorschriften analog auch 
auf gewisse Vorgänge anwendbar sind, denen der rechtsgeschäftliche Charakter 
abgeht. Namentlich gilt dies für gewisse Aufforderungen und An-
	        
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