156 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte.
gleichgültig ist, ob jemand seinen Willen erfährt oder nicht, sei es, daß er so-
gar positiv den Wunsch hat, sein Wille möge von niemandem bemerkt werden:
der Außernde verhält sich so, daß er irgend einen Willensentschluß, den er
gefaßt hat, unabsichtlich oder gar widerwillig verrät. Ein Rechtsgeschäft dieser
Art mag man als stille Willensäußerung bezeichnen.
b) Die Willenserklärungen (aa) sind entweder empfangsbedürftig oder
nicht empfangsbedürftig.
a)Eine Willenserklärung ist empfangsbedürftig, wenn sie vom
Gesetz nur unter der Voraussetzung als rechtswirksam anerkannt wird, daß sie
an eine gesetzlich bestimmte Adresse gerichtet ist und auch tatsächlich an diese
Adresse gelangt. 1
8) Eine Willenserklärung ist nicht empfangsbedürftig, wenn ihre
Wirksamkeit unabhängig davon ist, daß sie an eine gesetzlich bestimmte Adresse
gelangt.
I) Die Adressen, an die die empfangsbedürftigen Willenserklärungen (bo)
zu richten sind, werden vom Gesetz sehr verschieden bestimmt.
a) Der Regel nach ist die Erklärung an die Privatperson zu richten,
die der Erklärung als Gegenpartei gegenübersteht. Das Gesetz sagt von
solchen Erklärungen mit unvergleichlicher Undeutlichkeit, sie seien gegenüber
einem „andern“ abzugeben (143 III, 116, 117 usw.).
6) Sehr viel seltener ist vorgeschrieben, daß die Erklärung an eine be-
stimmte Behörde gerichtet werden muß (1945 I1, 1597 usw.).
y) Noch seltener endlich ist es, daß die Erklärung nach Wahl ihres Ur-
hebers entweder an die Gegenpartei oder an eine Behörde ge-
richtet werden kann (875 Ib, 876e ufw.).
d) Da die nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen (b 5) nicht an
eine bestimmte Adresse zu gelangen brauchen, ist der Regel nach eine bestimmte
Adresse bei ihnen überhaupt entbehrlich: sie brauchen einfach an niemanden gerichtet
zu werden und können also geradezu juristische Monologe darstellen. Doch ist
es denkbar, daß das Gesetz auch das Gegenteil anordnet, nämlich, daß die nicht
empfangsbedürftige Erklärung an eine bestimmte Adresse zwar nicht gelangen,
aber doch gerichtet sein muß. Eine derartige Erklärung kann man nicht
empfangs-, aber richtungsbedürftig nennen.
Beispiele. I. Die Annahme einer Erbschaft durch den Erben ist eine „stille“ Willens-
äußerung; die Annahme eines dem Erben auferlegten Vermächtnisses durch den Vermächtnis-
nehmer ist eine „Willenserklärung“. Denn jene ist auch dann wirksam, wenn sie absichtlich
heimlich vorgenommen wird, auf daß niemand von ihr erfahre (1943 im Gegensatz zu 1945,
2180 11); diese ist dagegen nur wirksam, wenn sie dem Erben „erklärt“, d. h. wenn sie gerade
in der Absicht geäußert wird, daß sie zur Kenntnis des Erben gelange (2180 II). 1. Um
diese Unterscheidung zu verstehn, nehme man zunächst folgenden Fall an: A., der nur einen
ganz entsernten Verwandten B. besitzt, hat testamentarisch nicht diesen, sondern seinen Freund
C., mit dem er seit Jahren zusammen wohnt, als Erben eingesetzt; nach A.s Tode nimmt
1) Siehe R. 58 S. 353. 2) Zitelmann, Grundr. S. 95.