172 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte.
liert, ohne etwas davon zu erfahren. b) In dem Fall zu 3 (Anfechtung der Anfechtung)
geht die Anfechtung, da sie eine einseitige gegenüber A. abzugebende Erklärung betrifft, gleich-
falls an die Adresse des A. II. 1. E. hat bei der Ausschreibung einer Preisaufgabe durch
einen bloßen Schreibfehler die Aufgabe falsch bestimmt. Hier kann er anfechten (119). Die
Anfechtung richtet sich gegen eine einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärung (657,
661), ist also gegenüber jedem zu erklären, der aus der Ausschreibung unmittelbar einen
rechtlichen Vorteil erlangt, d. h. gegenüber jedem, der den Preis verdient hat. 2. F.
entdeckt in seinem Portemonnaie eine außer Kurs gesetzte Münze und will sie fortwerfen;
er vergreift sich aber und wirft eine in Kurs befindliche Münze fort; G. läuft hinter der
fortgeworfenen Münze her und nimmt sie in Besitz. Hier kann F. die Preisgabe der Münze
anfechten (959, 119). Die Anfechtung ist gegen G. zu richten, obschon dieser die Münze
strenggenommen nicht unmittelbar durch die Preisgabe des F., sondern erst durch seine
eigne Besitznahme gewonnen hat (958 1).5 III. 1. H. hat durch eine arglistige Täuschung
seinen Bruder J. bestimmt, ihm in notarieller Urkunde eine lebenslängliche Rente von 1000 Mk.
jährlich schenkungsweise zu versprechen. Hier kann J. anfechten (123 1). Und zwar bedarf
es dazu nicht etwa gleichfalls einer notariellen Erklärung des J., sondern auch eine privat-
schriftliche und sogar eine mündliche Erklärung J.s genügt. Ja die Erklärung braucht
nicht einmal ausdrücklich zu sein 6, sondern es reicht aus, wenn J. dem H. seine Ver-
logenheit vorwirft und hinzufügt: „mit der Rente ist es jetzt natürlich vorbei“. 2. Gerade
umgekehrt steht es, wenn J. dem H., nachdem er ihn gehörig abgekanzelt, sagt: „auf die
Rente hat das aber keinen Einfluß". Denn darin liegt nicht nur nicht eine Anfechtung, sondern
im Gegenteil sogar eine Bestätigung der Schenkung; J. büßt also, da diese Bestätigung
gleichfalls formfrei ist, dadurch sein Anfechtungsrecht ein. So selbst dann, wenn H. die
Bestätigung zurückweist und erklärt: „von dir will ich fortab keinen Pfennig mehr nehmen“.
Denn die Bestätigung ist ein einseitiger Akt. Wenn also nachträglich H. über seinen Stolz
und J. über seine Großmut Reue empfinden und demgemäß H. die Rente einfordert, J. sie
dagegen verweigert, so ist H. im Recht. 3. Ganz anders liegt der Fall, wenn J., nachdem er
den H. ausgescholten, zuerst sagt: „mit der Rente ist es jetzt natürlich vorbei“, eine Minute
später aber auf das flehentliche Bitten H.s zufügt: „nun, so schlimm war es nicht gemeint,
die Rente sollst du behalten“. Denn hier ist die Schenkung durch die erste Außerung J.#8
bereits angefochten und damit nichtig geworden. Es ist also für eine formlose Bestätigung
kein Raum mehr. Demnach muß, da auch ein Widerruf der einmal erfolgten Anfechtung,
unmöglich ist, H., wenn er die Schenkung aufrechterhalten will, sie in einer neuen notariellen
Urkunde wiederholen (oben S. 166 a). 4. a) Ohne Belang ist es, wenn J., nachdem er sein
Anfechtungsrecht erfahren, trotzdem die Rente vorbehaltslos an H. weiterzahlt. Denn aus
der Weiterzahlung einiger Raten der Rente läßt sich nicht folgern, daß J. die Schenkung
wirklich in vollem Umfang bestätigen und nicht vielmehr bloß das weitere Verhalten seines
Bruders abwarten wolle. b) Ebenso belanglos ist es, wenn J. einem Freunde des H., mit
dem er den Vorfall bespricht, ausdrücklich sagt, er halte die Schenkung aufrecht. Denn die
Bestätigung der Schenkung kann gültig nur gegenüber dem H. selbst erklärt werden.
Daraus, daß das anfechtbare, aber noch nicht angefochtene Geschäft grundsätzlich als
rechtswirksam behandelt wird, folgt nicht, daß der Anfechtungsberechtigte so lange, als er die
Anfechtung nicht erklärt, rechtlich ganz schutzlos wäre. Vielmehr steht nichts im Wege, daß
er bei Gericht z. B. eine einstweilige Verfügung zu seinen Gunsten erwirkt (3PO. 935 ff.).
Denn sein Anfechtungsrecht als solches ist schutzfähig und schutzwürdig auch dann, wenn er
noch nicht endgültig entschlossen ist, es auszuüben.
3. Eine dritte Art der Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts, die gleichfalls
milder ist als die Nichtigkeit kraft Gesetzes, ist die nachträglich eintretende
Unwirksamkeit, deren Geltung nicht auf die Zeit der Vornahme des
Rechtsgeschäfts zurückdatiert wird. Doch sind die hierher gehörigen Fälle unter
5) Enneccerus S. 4750. Abw. Hölder Anm. 2c zu § 143.
6) R G. 57 S. 362, 63 S. 412.