Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 57. Beschränkt geschäftsfähige Personen, die selbständ. e. Erwerbsgeschäft betreiben. 191 
nachsuchen, sich ein Warenzeichen zulegen, einen „Kunstmaler“ gegen ein extravagantes 
Honorar mit der Anfertigung von entsprechend extravaganten Reklamebildern betrauen usw.; 
denn auch all dies, obschon es recht ungewöhnlich sein mag, bringt der Betrieb des Geschäfts 
der A. mit sich. Ebensogut kann sie sich endlich ohne Zustimmung des B. ihre Toilette be- 
schaffen, eine Privatwohnung mieten, eine Köchin engagieren, einen Hausarzt annehmen, 
Theaterbillets kaufen usw.; denn der Geschäftsbetrieb bringt es auch mit sich, daß der Prinzipal 
sich anzieht, daß er wohnt, daß er ißt, daß er sich gesund erhält, daß er sich erholt. Dagegen 
kann sie ohne Zustimmung des B. nicht plötzlich in ihrem Geschäft den Großbetrieb einführen, 
während ihr eine allmähliche Erweiterung des Geschäfts freisteht; denn sie hat nur die Er- 
mächtigung zu einem Kleinbetriebe bekommen, und dieser mag wohl eine allmähliche, nicht aber 
eine plötzliche Geschäftserweiterung mit sich bringen. Aus dem nämlichen Grunde wird sie 
auch nicht befugt sein, ohne B.s Zustimmung ihre Putzmacherei in eine Damenschneiderei zu 
verwandeln. Etbensowenig kann sie sich ohne Zustimmung des B. Geld borgen oder Wechsel 
akzeptieren; denn dazu wäre bei andern Minderjährigen außer der Zustimmung des Vor- 
mundes noch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nötig (1822 Nr. 8, 9); die Selb- 
ständigkeit der A. erstreckt sich also auf diese Geschäfte nicht. Aus dem nämlichen Grunde 
kann sie zwar, wie schon erwähnt, für ihren Geschäftsbetrieb ein Haus mieten, aber nicht 
kaufen; anders, wenn B. nicht ihr Vormund, sondern ihr Vater wäre: denn der Hauskauf 
für einen Minderjährigen bedarf der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nur, wenn der 
Minderjährige unter Vormundschaft, nicht aber auch, wenn er unter elterlicher Gewalt steht 
(1821 Nr. 4 verglichen mit 1643 1). 2. Derselbe Fall: nur hat B. mit Genehmigung des 
Vormundschaftsgerichts der A. verboten, irgendwelches Arbeitsmaterial auf Kredit anzu- 
schaffen und mehr als eine Gehilfin anzustellen. Dies Verbot hat nach außen hin keine 
Wirkung. Denn die Ermächtigung zum selbständigen Gewerbebetriebe kann von Vormund 
und Gericht nicht beschränkt werden (113 II verglichen mit 1121. 3. Derselbe Fall: eines 
Tages revidiert B. das Geschäft seines Mündels und stellt fest, daß die von der A. an- 
gestellten Arbeiterinnen sich gegen ihre junge Prinzipalin die größten Ungezogenheiten er- 
lauben, ohne daß diese den Mut hat, ihrem Personal zu kündigen:; darauf kündigt B. selber;- 
die Arbeiterinnen erklären nun, daß sie eine Kündigung von dem Vormunde der Prinzipalin 
nicht anzunehmen brauchten. Hier ist B. durchaus im Recht.1“ Denn das Gesetz hat nirgends 
auch nur angedeutet, daß der Vormund, der seinem Mündel mit gerichtlicher Genehmigung 
den selbständigen Geschäftsbetrieb erlaubt, damit seine Gewalt zur Vertretung des Mündels 
innerhalb dieses Betriebes verlöre. Freilich ist bestimmt, daß ein derartiger Mündel in 
seinem Geschäftsbetriebe als unbeschränkt geschäftsfähig gelten solle. Allein hiermit ist eine 
konkurrierende Vertretungsgewalt des Vormundes sehr wohl vereinbar (s. 1910); und es ist 
sicher, daß sie im großen und ganzen dem Mündel eher nützen als schaden wird. II. 1. Der 
nämlichen A. ist von B., als sie fünfzehn Jahre alt wurde, gestattet worden, in das Putz- 
machergeschäft der C. als Arbeiterin einzutreten. Hier kann die A., wenn die C. ihr ohne 
zwingenden Grund eine Ohrfeige gibt, den Dienst eigenmächtig kündigen und bei einer andern 
Putzmacherin Stellung nehmen; sie kann auch bei dem neuen Engagement andre Bedingungen 
vereinbaren als die mit der C. stipulierten usv. Dagegen darf sie sich ohne Zustimmung 
B.s nicht als Fabrikarbeiterin oder Dienstmädchen verdingen. Sie darf ferner ohne Zu- 
stimmung B.8s (die freilich auch Generalkonsens soben S. 188] sein kann) sich keine Wohnung 
mieten, sich keine Kleider kaufen usw.; und selbst dadurch, daß sie den Zins für die Wohnung, 
den Preis für die Kleider mit ihrem Lohn bar bezahlt, macht sie die Wohnungsmiete und 
den Kleiderkauf, wenn es an B.s Zustimmung mangelt, nicht gültig; denn es steht durchaus 
nicht fest, daß B. ihr den Lohn zur freien Versügung belassen hat. 2. Derselbe Fall; nur 
hat B. der A. untersagt, den Dienst bei der C. eigenmächtig zu kündigen. Hier ist dieses 
Verbot auch der C. gegenüber wirksam; diese braucht also trotz der Ohrfeige die Kündigung 
der A. nicht anzunehmen. 3. Derselbe Fall; B. ist, ohne der A. etwas zu sagen, bei der 
C. erschienen, hat sich von ihr den ganzen rückständigen Lohn der A. mit 250 Mk. auszahlen 
lassen und ist damit verschwunden. Hier braucht die C. den Lohn nicht noch einmal zu 
17) Crome 1 S. 370; abw. Planck Anm. 1 zu § 112.
	        
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