202 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte.
b) Wenn der Erklärende will, kann er den Zugang der Erklärung an
deren Adresse auch durch formelle Zustellung der Erklärung bewerk-
stelligen. Was hierzu erforderlich, ist im Gesetz genau vorgeschrieben: die Zu-
stellung muß nämlich durch Vermittlung eines Gerichtsvollziehers geschehn und
unterliegt denselben Normen wie eine Zustellung im Zivilprozeß (132 1); be-
findet sich der Erklärende in einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Un-
kenntnis über die Person, an die er seine Erklärung zu richten hat, oder ist
der Aufenthalt dieser Person unbekannt, so kann die Zustellung auf Grund
einer Bewilligung des Amtsgerichts sogar nach den für die öffentliche Zu-
stellung einer Ladung geltenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung,
d. h. durch Bekanntmachung in der Zeitung und Anheftung an der Gerichts-
tafel geschehn (132 II). Auch im Fall der Zustellung ist es gleichgültig, ob
der Adressat von der Erklärung, die den Gegenstand der Zustellung bildet,
tatsächlich Kenntnis erlangt oder nicht.
Beispiele. I. A. in Tilsit will dem B. in Offenburg möglichst schnell eine Erklärung
zugehn lassen und sich den Beweis des Zugangs sichern. Hier genügt ein einsacher Brief
des A. nicht; denn er kann leicht verloren gehn, und daß er wirklich angekommen, ist nicht
immer sicher zu beweisen. Bedenklich ist aber auch ein eingeschriebner Brief; denn wenn
der Briefbote weder den B. noch dessen Familienangehörige antrifft, darf er den Brief nicht
abliefern, und meine oben S. 201 Abs. 1 vorgetragene Lehre, daß der Brief schon als zuge-
gangen gilt, wenn der Briefbote ihn in der Wohnung B.s vorzeigt, ist sehr bestritten. So
ist es am sichersten, wenn A. den Brief dem B. durch den Gerichtsvollzieher zustellen läßt;
denn alsdann wird dem A. eine Urkunde über den Zugang des Briefs an B. ausgestellt
(3PO. 190 ff.), und der Umstand, daß weder B. noch seine Familienangehörigen zu Hause
sind, wenn der Gerichtsvollzieher (oder im Fall von ZPO. 193 ff. der Postbote) in B.8
Wohnung erscheint, macht gemäß 3PO. 181 keinerlei Schwierigkeit. II. 1. C. in Leipzig hat
durch schriftlichen Vertrag sein Haus auf drei Jahre an D., der damals in Zwickau wohnte, ver-
mietet; D. zieht aber nicht ein und zahlt auch keinen Mietzins; C. will ihm deshalb kün-
digen; doch ist D. seitdem von Zwickau verzogen, und sein Aufenthalt ist unbekannt. Hier
kann C. mit Bewilligung des Zwickauer Amtsgerichts in der Art kündigen, daß der Ge-
richtsschreiber den Kündigungsbrief an die Gerichtstafel heftet und ihn außerdem auszugs-
weise einmal im Reichsanzeiger und zweimal in der vom Zwickauer Gericht amtlich benutzten
Lokalzeitung veröffentlicht; die Kündigung gilt als erfolgt, wenn ein Monat seit der zweiten
Zeitungsveröffentlichung verstrichen ist (ZPO. 204, 206). 2. Dasselbe ist der Fall, wenn
C. die Wohnung an eine ihm nur dem Namen nach bekannte Person, die sich auf der Durch-
reise durch Leipzig befand und ihren Wohnsitz nicht genannt hat, vermietet hat und nun seinen
Mietsmann nicht ermitteln kann; denn hier ist C. in Unkenntnis über die Person dessen, an
den er zu kündigen hat, und man wird diese Unkenntnis nicht auf eine Fahrlässigkeit C.Ss,
sondern eher auf eine Fahrlässigkeit des Unbekannten zurückführen müssen. 3. Anders wenn
der Mietsmann seine damalige Wohnung genannt, C. sie aber vergessen hat; denn als-
dann liegt eine Fahrlässigkeit C.S vor; C. kann hier also überhaupt nicht kündigen.
2. Der Zugang einer Erklärung an deren Adresse ist rechtswirksam nur,
wenn er im wesentlichen so erfolgt, wie der Erklärende es bestimmt hat. Da-
gegen ist es unschädlich, wenn der Zugang von den Bestimmungen des Er-
klärenden nur unwesentlich abweicht.
Beispiele. I. Dem Erfordernis zu 2 ist nicht genügt, 1. wenn A. dem Boten B.
einen Brief für C. mitgibt, B. den Brief verliert, aber den Inhalt, den er zufällig er-
fahren hat, dem C. mündlich berichtet; 2. wenn D. den E. mit einer mündlichen Bestellung