Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

212 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte. 
7. Zwei Sonderregeln gelten, wenn ein Vertragsschluß im Wege der 
Versteigerung vonstatten gehn soll (156). 
a) Darin, daß jemand eine Versteigerung veranstaltet, liegt eine unver- 
bindliche Einladung an das die Versteigerung besuchende Publikum, gewisse 
Gebote zu machen. Dagegen liegt darin, daß jemand dieser Einladung Folge 
leistet und ein Gebot tatsächlich abgibt, ein rechtsverbindlicher Antrag zum 
Vertragsschluß, den der Unternehmer der Versteigerung nach Belieben durch 
Erteilung des Zuschlages annehmen oder durch Verweigerung des Zuschlages 
ablehnen kann. Sobald der Zuschlag erteilt ist, ist der Vertrag zustande 
gekommen. 
b) Jedes in der Versteigerung abgegebene Gebot verliert seine verbind- 
liche Kraft, sobald ein Ubergebot abgegeben oder die Versteigerung ohne Er- 
teilung des Zuschlages geschlossen wird. 
Beispiel. Bei einer großen Auktion wird zuerst eine Jardiniere ausgeboten; es geben 
aber nur A. und B. Gebote ab: jener fängt mit 10 Mk. an; alsdann überbietet ihn B. 
mit 15 Mk.; schließlich bleibt A. mit 20 Mk. Höchstbietender. Hier ist B. endgültig befreit. 
Dagegen ist A. einstweilen gebunden. Der Auktionator kann diese einstweilige Bindung A.3 
zu einer endgültigen machen, indem er ihm den Zuschlag erteilt. Er kann aber auch nach 
Belieben die Bindung A.s aufheben, indem er sein Gebot zurückweist oder die Versteigerung 
ohne Zuschlag beendigt, z. B. dadurch, daß er die Jardiniere aus der Auktion zurückzieht. 
Endlich kann er die Bindung A.s auch als eine einstweilige fortdauern lassen, indem er, 
ohne A. freizugeben, auf bessere Gebote wartet; doch muß er zu diesem Zweck die Ver- 
steigerung der Jardiniere ununterbrochen fortsetzen, d. h. sich fortgesetzt zur Annahme von 
Geboten auf die Jardiniere bereithalten; er darf also nicht einmal eine Mittagpause machen; 
denn sobald er die Versteigerung unterbricht, wird A. befreit. 
II. Seltener als der Vertragsschluß durch aufeinanderfolgende Willens- 
äußerungen der beiden Vertragsparteien ist der Vertragsschluß durch Willens- 
äußerungen, die die beiden Vertragsparteien zur gleichen Zeit abgeben. Bei 
einem derartigen simultanen Vertragsschluß ist jede dieser Außerungen sowohl 
als Antrag wie als Annahme des Gegenantrages aufzufassen. 
Beispiel. A. und B. verhandeln durch den Mäkler C. miteinander über den Abschluß 
eines Mietvertrages; schließlich setzt C. einen schriftlichen Vertragsentwurf in zwei Exemplaren 
auf, ruft beide Parteien zusammen und läßt zur selben Zeit jede Partei je eines der 
Exemplare unterschreiben. 
Daraus, daß bei gleichzeitiger Abgabe der beiderseitigen Willensäußerungen jede 
Außerung als Antrag und als Annahme des Gegenantrages aufzufassen ist, folgt, daß, 
wenn zwei Personen zufällig zu gleicher Zeit einander übereinstimmende Vertragsanträge 
zusenden, ein Vertragsschluß erst dadurch zustande kommt, daß eine der Parteien den Antrag 
der andern Partei annimmt. Denn solange dies nicht geschehn, stehn die beiden Anträge 
nur äußerlich nebeneinander und greifen nicht, wie es für einen Vertragsschluß nötig, in- 
einander ein.“ 
5) Endemann 1 S. 3195; Ortmann, Vorbemerkung 2b vor 8 145; abw. Crome 1 
S. 3962.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.